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gleichwie der lebendige Organismus entweder gesund ist oder

krank.

Wie im leiblichen Leben der Arzt, so beweist uns im Kunstleben

das hohe Amt des Kunstrichters, daß auch in der Kunst die Kate-

gorien der Vollkommenheit und Unvollkommenheit eine große

Rolle spielen. Schon indem das Häßliche dem Schönen, das Wohl-

gelungene dem nicht Gelungenen gegenübergestellt wird, zeigt sich

das.

Im besonderen steht die Ebenbildlichkeit und Stilreinheit der

Unebenbildlichkeit und Stilmischung, dem Range und Vorrange

stehen die wesenswidrige Rang- und Vorrangverkehrung, der an-

gemessenen Leistung die Unter- oder Überleistung, z. B. die „Uber-

haltung“, den Entsprechungen die Mißentsprechungen, Einseitig-

keiten, Unverhältnismäßigkeiten und vieles andere mehr gegenüber.

Es scheint uns ein wichtiges Wahrheitszeichen und ein Brauch-

barkeitsbeweis unserer Kategorien zu sein, daß das Kunsturteil in

Leben und Geschichte nicht erst auf sie wartete, sondern sie längst

verwendete. Nur die genauere Unterscheidung und Bestimmung

dürfen wir für uns in Anspruch nehmen. Sind ja auch alle diese

Begriffe (wie: Ausgliederung, Ebenbildlichkeit, Rang, Leistung

usw.) aus der Analysis der Ganzheit in den verschiedensten Wissen-

schaften, vor allem in den Gesellschaftswissenschaften, in der Tat

hervorgegangen. Daher müssen sie sich denn auch auf künstleri-

schem Gebiete bewähren.

3.

Rückverbundenheit

Die Rückverbundenheit ist keine abgeleitete, sondern gleich der

Ausgliederung eine ursprüngliche Kategorie. Sie hat in den natur-

wissenschaftlichen Denkformen kein Gleichnis. Denn sie besagt, daß

alles Ausgegliederte in seinem Ausgliedernden z u g l e i c h ver-

harrt, innebleibt, bestehen bleibt, anders gesagt — befaßt oder rück-

verbunden ist!

Das einfachste Beispiel dafür ist das Verhältnis von Gedanke und

Wort. Der Denkende gliedert, in seinem Gedanken, das Wort aus

(indem er es ausspricht); das Ausgliedern oder Sprechen des Wortes

ist aber nur möglich, indem es z u g l e i c h im Gedanken bestehen

bleibt. Vergäße der Sprechende, was er sagen will (vergäße er den

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4 Spann, 19