I. Der Begriff der Eingebung
Da der Begriff der Eingebung oder Intuition der zweiflerischen
Haltung unserer Zeit und im besonderen den heute herrschenden
Richtungen der Seelenlehre widerspricht, bedarf es einer weiter aus-
holenden Begründung. — Wir beginnen mit den in der Seelenlehre
bestehenden Schwierigkeiten.
Den Schlüssel für die Unfähigkeit sämtlicher gegenwärtigen Rich-
tungen der Seelenlehre, die Eingebung in irgendeiner Weise zu
erklären, liegt in der Assoziations-Seelenlehre. In ihrer alten, klassi-
schen Form besteht sie zwar nicht mehr; indessen, was entscheidend
ist: Die materialistische, ametaphysische Grundeinstellung, der sie
geschichtlich entsprang, besteht noch weiter! Nach ihr leitet sich der
gesamte Vorrat seelischer Inhalte von den Sinneseindrücken ab, wel-
che als „Vorstellungen“ (mit bestimmten Gefühlsbetonungen, von
denen sich dann die Motivationsgewichte ergeben, welche zum Wol-
len und Handeln führen) wiedererzeugt und abgewandelt werden.
Diese Vorstellungen nun werden nach bestimmten Gesetzen ver-
bunden, assoziiert — eine „Eingebung“ oder „Intuition“ in einem
anderen Sinne als der Verbindung schon vorhandener Vorstellungen
gibt es nicht. Ja, es gibt danach auch keine andere Erklärung des
Denkens als die pragmatistische (die erfolgreichen Verbindungen
halten sich — eigentlich eine darwinistische Erklärung); und als die
von Richard Avenarius seinerzeit versuchte (die „denkbar meist sich
wiederholenden Vorstellungen bestimmen, was wahr sei“ — eine
umweltliche Erklärung).
Da eine Seelenlehre, welche das Denken nicht erklären kann, aber
auf die Dauer doch unhaltbar ist, entstand die „Denkpsychologie“,
die einen eigenen „ordnenden, die Assoziationen überbauenden
Faktor“ einführt. — So wie diese sind alle anderen seither entstan-
denen Richtungen der Seelenlehre nur Flickwerk, welche im ganzen
doch an den Voraussetzungen der alten naturalistischen, assozia-
tionsmechanischen Lehre, vor allem auch an der ärmlichen Eintei-
lung der geistig-seelischen Erscheinungen in „Vorstellung, Gefühl