Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8122 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8122 / 9133 Next Page
Page Background

62

und Wille“ festhalten. Der Behaviorismus steht der alten Schule

auch äußerlich nahe und teilt mit ihr die Primitivität des natur-

wissenschaftlichen Standpunktes. Aber auch die anderen Schulen

kranken an dem Mangel, die gesamten seelischen Inhalte zuletzt von

den Sinneseindrücken abzuleiten, welche dann bestenfalls durch

„Aufmerksamkeitsverteilungen“

(Alexius

Meinong),

„Relations-

erfassung“, „Komplexergänzung“ überbaut, „geordnet“, gestaltet

werden. Solche und ähnliche Begriffe, auch der „Ganzheitsfaktor“

und die „Ganzmachung“, verdecken im Grunde nur die empiristi-

sche, eigentlich doch wieder assoziationstheoretische Grundlage oder

schränken sie bestenfalls ein. Es ist noch immer eine „Psychologie

ohne Seele“, wie die Assoziationslehrer stolz sagten, nichts anderes!

Eine Eingebung kann man mit solchen Begriffsmitteln niemals

erklären!

Man muß den Mut aufbringen, die Eingebung aus der Ideenwelt

her zu erklären, wobei „Idee“ im platonischen Sinne als der Inbe-

griff der das Leben und die Welt gestaltenden Mächte zu verstehen

ist. Sagten wir aber, der Mensch „berühre“ in der Eingebung die

Ideenwelt, so ist das freilich nur ein Bild. Genau bestimmt ist das

Verhältnis von Mensch und Idee dadurch: Der Mensch ist als Auszug

aus sämtlichen Wesenheiten und Wirklichkeiten des Alls und als

Träger des geschichtlichen Geisteslebens selbst nichts Geringeres als

I d e e n f ü h r e r ; er hat die Ideen der Möglichkeit nach alle i n

s i c h . Der menschliche Geist ist, wie Aristoteles sagte, „gleichsam

alle Dinge“

1

. — Demgemäß handelt es sich bei der Eingebung nicht

um etwas, was außerhalb des menschlichen Geistes wäre; vielmehr

um die E r w e c k u n g der im menschlichen Geiste selbst schlum-

mernden Urwesenheiten oder Ideen.

Gegen eine solche Auffassung der Eingebung wird sich nun die

heutige materialistische Bildungsrichtung in jeder Weise sträuben.

Aber die Tatsachen selbst sind es, welche schließlich die Anerken-

nung dieses Begriffes erzwingen werden. Es wird eine Zeit kom-

men, in welcher man erkennt, daß der menschliche Geist in eine

höhere Seinsebene hineinragt und daß der Standpunkt, ihn von den

Sinneseindrücken her zu verstehen, dem rohen Materialismus

angehört.

1

Aristoteles: Über die Seele, übersetzt von Adolf Busse, Leipzig 1922 (= Phi-

losophische Bibliothek, Bd 4).