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Die Kunstphilosophie selbst kann sich zur Not auf die Tatsache
zurückziehen, daß die E r f a h r u n g es sei, welche die Einge-
bung als die letzte Wurzel des Schönen bezeugt: Der echte Künstler
leimt und setzt und klügelt sein Werk niemals aus einzelnen Teilen
mühsam zusammen. Nein, er schafft es aus „einem Gusse“, „wie in
einem Rausche“ — auf Grund der Eingebung! Es ist ein von anders-
woher kommender „Einfall“; das Licht der Urwesenheit, die Idee
„fällt ein“ und erleuchtet, beseelt, führt ihn.
Der Eingebung vorher geht im Geiste die Sammlung, die Ver-
senkung. Sie besteht, wie Meister Eckehart so oft einschärft, in
einem Leermachen, in der Anspannung der Aufmerksamkeit auf
einen einzigen Punkt! Diese Sammlung in sich selbst macht den
Geist zugänglich für den „Einfall“; das heißt, genau gesagt, für die
Erweckung des in seiner Tiefe schlummernden Urbesitzes, der Idee.
Die Eingebung arbeitet stets mit dem, was sie im Geiste jeweils
vorfindet: Sie setzt den Schatz von Kenntnissen, äußeren und inne-
ren Erfahrungen, z. B. Naturstudien, voraus, den sie braucht.
(Goethe: „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen — Und
haben sich, eh’ man es denkt, gefunden.“) — Die Eingebung ist aber
mit diesem Schatze keineswegs einerlei. Denn sie ist ein Neues,
Ursprüngliches, das nicht aus der bloßen Verbindung der Bestand-
teile des Alten hervorging. Newtons Eingebung, daß die Schwer-
kraft auch auf dem Monde wirke, dieselbe, welche auf der Erde
wirkt, sagte völlig Neues aus, trat aber mit der gesamten Kenntnis
des bisher Gewußten als Rüstzeug auf; Raffaels Eingebung der
Dresdener Madonna war neu entzündetes Himmelslicht, arbeitete
aber mit dem Stoffe von Frauengestalten, welche durch Studien an
der Erfahrung gewonnen wurden.
Die Eingebung bereitet sich durch Sammlung und Erfahrung zu
und steigt entweder auf wie ein langsam sich hebendes Licht oder
sie fährt, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, wie der Blitz aus
der angesammelten Wolke, dringt durch Mark und Bein und erfüllt
den Künstler mit jener nichtruhenden Kraft und Begeisterung,
welche ihm allein die Beharrlichkeit verleiht, sein Werk allen Hin-
dernissen und oft überaus weitläufigen Studien, die es erfordert,
zum Trotze, zum glücklichen Ende zu führen. — Zugleich aber ist
sie es, welche manchmal den Eindruck erweckt, daß „das Gedicht
sich selbst erdichte“; wie denn auch wirklich lyrische Gedichte, Teile