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von Dramen und Erzählungen, oder ganze Tonfolgen, Zeitmaße,

Zusammenklänge, oder auch Farbenbestimmungen, Umrisse von

Bildern dem Dichter, Tonsetzer, Maler, Baukünstler als Ganze, als

Fertige vor die Seele treten. — Das Gesamtganze des daraus ent-

stehenden Kunstwerkes ist allerdings niemals auf den ersten Wurf

so im einzelnen ausgestaltet, ausgeführt, besondert, daß der Künst-

ler nicht doch noch daran arbeiten, feilen und ergänzen müßte. Das

beweisen die Entwürfe der größten Künstler wie Goethes, Schillers,

Beethovens, Hölderlins und selbst Mozarts, welcher bekanntlich

noch bei den Proben und Aufführungen änderte.

Hieraus verstehen wir, was als Haupterfordernisse des künstleri-

schen Schaffens aus den Lebensbeschreibungen bekannt ist: eine tiefe

Grundeingebung, eindringliche Studien, treue, hingebende Arbeit

der Ausführung, welche aber ihrerseits selbst wieder nur durch fort-

dauernde H i l f s e i n g e b u n g e n lebendigen Wert erlangt!

Wir verstehen daraus auch das ungleiche Bild künstlerischen Schaf-

fens, das die Geschichte zeigt. Wenn es Beispiele gibt, wonach ganze

Schauspiele, Tonwerke, Gemälde, Bildnereien, Bauwerke (in Ent-

würfen) in kurzer Zeit wie in einem fortdauernden Rausche ge-

schaffen wurden; so doch auch andere, wo lange Arbeit höchster

Sammlung darangesetzt werden mußte. Dantes Göttliche Komödie

und Goethes Faust beanspruchten fast ein Leben.

II.

Beispiele

Für die Eingebung, wie wir sie verstehen, gibt es unzählige Bei-

spiele in der Geschichte aller Künste. Wir führen im folgenden zu-

erst Bekenntnisse von Künstlern an, deren persönliches Gepräge eine

besondere Bedeutung beanspruchen darf.

A. B e k e n n t n i s s e v o n K ü n s t l e r n

Da ist zunächst G o e t h e s bekannter Brief vom 10. Mai aus

dem Wertherroman.

Werther (das ist Goethe) liegt im hohen Grase und fühlt im Gewimmel der

kleinen Welt die Gegenwart des Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf.

Im Wehen des alliebenden Gottes fühlt er sich emporgetragen. „Wenn’s dann

um meine Augen dämmert und die Welt um mich her und der Himmel ganz in