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meiner Seele ruhen wie die Gestalt der Geliebten - dann sehn’ ich mich oft und

denke: Ach, könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papier das

einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner

Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes.“

Goethe verrät uns hier etwas von dem Rausche der Eingebung

und unterscheidet davon klar ihre reine Gestaltung als eine schwie-

rige Aufgabe.

Zum Persönlichen dürfen wir auch S c h i l l e r s Worte rech-

nen, die wir in dem Gedicht „Das Glück“ finden (nach der Sage

sprang bekanntlich Minerva gewappnet aus dem Haupte des Zeus):

Wie die erste Minerva, so tritt, mit der Ägis gerüstet,

Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts.

Ein anderes, durchaus persönliches Bekenntnis eines großen, das

ganze Leben bestimmenden Eingebungserlebnisses ist uns von L u d -

w i g T i e c k erhalten, in einem Briefe, welchen er in hohem Alter

kurz vor seinem Tode an seine Freundin Ida von Lüttichau schrieb:

„Visionen, Entzückungen, augenblickliches Schauen in das sogenannte Jenseits

sind die Verherrlichungen unseres Gemütes, die nur wenigen gegönnt sind ...“

„Es war in den ersten Jahren meiner Studentenzeit, 1792, in Halle, als ich aus-

wanderte, um einen Freund, der mich geladen hatte, im Harz zu besuchen. Ich

hatte noch kein Gebirge gesehen, und alles war mir neu, erfreulich und begei-

sternd ... Ich hatte die Nacht nicht geschlafen, sondern Briefe geschrieben... Als

es finster wurde, kam ich in einen Wald... Nun geriet ich vor ein höher gele-

genes Gasthaus, aus welchem mir Erleuchtung, Musik und Tanz entgegenstrahlte.

Ich kehrte ein, als es schon ganz finstere Nacht geworden war, freute mich dort

der lärmenden Fröhlichkeit und ließ mir ein Zimmer geben, von welchem ich die

Tür offen ließ, um die Verwirrung... aus nächster Hand zu genießen. Die jun-

gen Leute freuten sich meiner Teilnahme, und so ging die zweite Nacht auch

völlig ohne Schlaf vorüber. Als es im Saale ruhiger geworden war, erlegte ich

meine Zeche, weil Wirt und Wirtin sich nun der Ruhe und dem Schlafe über-

gaben. Es war noch die schöne Zeit in Deutschland, als man dieses einsam liegende,

kleine Haus zuversichtlich konnte des Nachts offen stehen lassen wie damals in

vielen Gegenden des Landes. Ich ging nun weiter; ein schöner Weidengang emp-

fing mich, und ich bestieg einige Hügel. Nicht lange, so ging die Sonne auf. Aber

wo Worte hernehmen, um das nur matt zu schildern, das Wunder, die Erschei-

nung, welches mir begegnete und meine Seele, meinen inneren Menschen, alle

meine Kräfte verwandelte und einem Unsichtbaren, einem göttlich großen Un-

nennbaren entgegenriß und führte. Ein unnennbares Entzücken ergriff mein

ganzes Wesen; ich zitterte, und ein Tränenstrom, so innig durchdringlich, wie ich

ihn nie vergossen hatte, floß aus meinen Augen. Ich mußte stille stehen, um diese

Vision ganz zu erleben, und so wie mein Herz in der höchsten Freude zitterte,

so war mir völlig überzeugend, als wenn ein zweites, seliges, liebendes Herz an

meinem Busen klopfte. Wie schon gesagt, dies war der höchste Moment meines

ganzen Lebens; ich konnte mich in Freude überseliger Lust der tiefsten Tränen in

der Entzückung nicht erwehren. Wie lange diese berauschende Zeit mich ergriff,

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