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Dazu kommt z w e i t e n s , daß durch die vollkommene Dar-
stellung der Widerspruch des so dargestellten Teiles mit dem Gan-
zen aufgedeckt wird! Die vollkommene (das heißt hier: die oft noch
besonders übertriebene) Darstellung des Inhaltlich-Häßlichen ist die
Entlarvung des Bösen, womit seine unheimliche Macht ja schon
gebrochen ist! Gerade dadurch gewinnt der Begriff des Unholdisch-
Schönen große plastische Ausdruckskraft und ermöglicht es durch die
Kategorie der Rückverbundenheit zum ersten Male in der Geschichte
der Ästhetik, das Häßliche dem Schönen als einen Teil einzugliedern.
Und d r i t t e n s : Schelling hat eindrucksvoll ausgesprochen,
was jeder ganzheitlichen Kunstauffassung selbstverständlich sein
muß: „In dem wahren Kunstwerk gibt es keine einzelne Schönheit,
nur das Ganze ist schön. Wer sich also nicht zur Idee des Ganzen
erhebt, ist gänzlich unfähig, ein Werk zu beurteilen
1
.“
Das F r o h l o c k e n d - S c h ö n e u n d d a s T r a g i s c h -
S c h ö n e
2
werden von Spann dem Leser in einer gemeinsamen
Darstellung vor Augen geführt: eine zunächst abermals befremd-
liche, aber aus einer wahrhaft grandiosen Sicht heraus gesehene
Gemeinsamkeit! Die aus innerstem, persönlichem, an frohlockend
schönen und schmerzlich tragischen Schicksalsfällen so reichem Er-
leben gewonnene tiefe Einsicht Spanns liegt nun darin, daß das-
selbe, was wesenhaft für die große Kunst mit frohlockend schönem
Ausgang gilt, für jede große Kunst, auch für jene mit tragischem
Ende, gelten müsse! Denn auch hier ist die Erlösung des Helden das
letzte Ziel, zwar nicht mehr in dieser, aber in der folgenden essen-
tielleren Welt.
Es geht um das Verhältnis des Helden zur göttlichen und sitt-
lichen Weltordnung. Der Ursprung des Dramas ist der griechische
Gottesdienst. Als sein Urbild kann die Passionsgeschichte Christi
gelten. Davon berichtet das Evangelium, die frohe Botschaft, die
nicht nur wegen der Lehre, die sie verkündet, sondern auch nach
dem Leben des Heilands diesen Namen trägt. Das g a n z e Leben
endet nicht mit dem Tode. Aber die Haltung im Tode entscheidet
über das ganze Leben (über seinen jenseitigen Ausgangspunkt)!
Der H e l d v e r l ä ß t t r i u m p h i e r e n d d i e B ü h n e
d i e s e r W e l t ! Genau wie das christlich-österliche Auferste-
1
Schelling, W. W. I, V, S. 359.
2
Siehe oben S. 317 ff.
26 Spann, 19