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E s i s t d a s U n h o l d i s c h - S c h ö n e oder das I n h a l t -
l i c h - H ä ß l i c h e
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. I n allen seinen Werken hat Spann die
Macht des Unholdentums mit unerbittlicher Schärfe aufgezeigt.
Nun nimmt er die Gestalten des Bösen in seine philosophische
Begriffswelt in einer Weise herein, daß es in der Kunst geradezu
„aufgehoben“ scheint, eben durch die Begriffsbestimmung: das
Unholdisch-Schöne. Ein überaus gewagter Begriff, wenn nicht gar
eine Contradictio in adjecto! Das Häßliche soll zugleich schön sein?
Wie reimt sich das zusammen? Es handelt sich um die Erklärung
jener häßlichen, Unholdischen Gestalten, die uns der Künstler als
solche „vollkommen“ darstellt (zum Unterschied von der Unvoll-
kommenheit in der Darstellung selbst, die wir unter die Unvoll-
kommenheitsweisen eingereiht sahen, die also einen Mangel an
Eingebung, an Gestaltungskraft und insbesondere an Rückverbun-
denheit zeigen). Hingegen ist das Unholdisch-Schöne in der E i n -
g e b u n g w a h r , i n d e r G e s t a l t u n g u n d R ü c k v e r -
b u n d e n h e i t v o l l k o m m e n , indessen in seiner i n h a l t -
l i c h e n Bestimmtheit v e r a b s c h e u u n g s w ü r d i g ;
d a -
h e r i n d i e s e m S i n n e h ä ß l i c h
2
. Spann meint damit
jene Bösewichte und Mißgestalten, wie sie uns als Thersites, Ri-
chard III., Falstaff, Caliban, Mephisto entgegentreten.
Durch die vollkommene Darstellung des Häßlichen also soll die-
ses zu einem Teil des Schönen und somit selbst als schön bezeichnet
werden? Diese Folgerung bereitet gewiß einiges Unbehagen. Nicht,
daß das Häßliche nicht dargestellt werden sollte, aber daß es unter
das Schöne subsumiert wird, ist das nicht leicht Faßbare. Liegt
denn überhaupt — so muß man fragen — der Schwerpunkt der
Kunst in der Gestaltung des S c h ö n e n ? Ist nicht das eigentlich
Wesenhafte eben die G e s t a l t u n g der Idee; in ihrer reinen
Ursprünglichkeit wie in ihrer weltlichen Gebrochenheit?
Nun ist das I n h a l t l i c h - H ä ß l i c h e allerdings oft nur
beschränkt darstellbar; unbeschränkt wohl in der P l a s t i k u n d
M a l e r e i ; überhaupt nicht in jener Kunstart, die — wie wir
sagten — als Gestalt kat’ exochén bezeichnet werden kann: in der
B a u k u n s t (was natürlich nicht heißt, daß die Baukunst nicht
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Siehe oben S. 331
ff
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Siehe oben S. 331.