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fühlt sich der Gläubige in dem Gotteshause geborgen, die Gestalt

wölbt sich über ihn, er wird in sie immer mehr hineingezogen und

in sie verwoben. Der Beschauer erlebt vor allem die Gestalt, auch

wenn er den Dom von außen betrachtet.

Daß dem Handeln in der Reihe der Zeitkünste die leibliche

Ausdruckskunst, die Mimik, die Gebärdenkunst, der T a n z zu-

zuordnen ist, braucht wohl nicht weiter begründet zu werden. Er

ist der unmittelbarste Ausdruck inneren Erlebens und daher auch

die älteste und unmittelbarste aller Künste. Der Mimik und der

handelnden Gebärde entspricht in der bildenden Kunst die P l a -

s t i k . Man könnte sie daher, soferne sie Bewegungsausdruck ist,

auch den „gefrorenen Tanz“ nennen. (Spann zählt die Tanzkunst zu

den bildenden Künsten

1

, wie in ebenso befremdlicher Weise Schel-

ling die Architektur unter die Plastik einreiht.)

Was ist nun mit dieser Einteilung erreicht?

1.

Es zeigt sich darin eine genaue Entsprechung zwischen der

Gliederung der Künste und der des menschlichen Geistes.

2.

Die innere Verbundenheit der Kunstphilosophie im ganz-

heitlichen Begriffsgebäude und ihre Stellung in ihm wird in beson-

ders anschaulicher Weise unterstrichen.

3.

Es ergibt sich eine ganz zwanglose und vollständige Einreihung

aller Kunstarten, auch des Tanzes, in den Reigen der Künste.

4.

Die Einteilung erfaßt auch wesenhaft die bildenden Künste,

wobei sich eine genaue Entsprechung der Zeit- und der Raumkünste

zeigt.

5.

Es ließe sich ein klares Vorrangverhältnis innerhalb der Zeit-

und Raumkünste, wie auch zwischen diesen wohl begründen, wobei

Vorrang nichts mit Werturteil zu tun hat.

Ihre größte Befriedigung aber findet diese Einteilung in einem

Vergleich mit jener Schellings

2

, dem Künstler unter den Philoso-

phen, der mit seinen Begriffsmitteln zu einem grundsätzlich gleichen

Einteilungsprinzip gelangt. S c h e l l i n g wirft die Frage auf:

Wie ist die Philosophie der Kunst überhaupt möglich? Philosophie

stellt nicht die wirklichen Dinge dar, sondern ihre Urbilder, und

zwar ideell. Ebenso stellt die Kunst die Urbilder dar, aber objektiv,

real. In diesem Sinne ist K u n s t d a s R e a l e , O b j e k t i v e ;

1

Siehe oben S. 293.

2

Schelling, W. W. I, V, S. 364

ff