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bare Beziehungen zur Welt der Natur haben muß. Darüber hinaus
jedoch weist die gesamte bildende Kunst zu den immateriellen
Wurzeln der Natur. In seiner Naturphilosophie hat Spann den Zusam-
menhang zwischen Geist und Materie dargestellt, die einander ihrem
Wesen nach nicht unmittelbar berühren können. Doch hat die Materie
vorstoffliche, übersinnliche Wurzeln, mit denen der Geist sich in der
„Gezweiung höherer Ordnung“ zu verbinden vermag (Bd 15, 65 ff.).
Diese naturphilosophische Grunderkenntnis ist für die Kunstphilo-
sophie von wesentlicher Bedeutung. Sie tritt vor allem im Symbol-
denken hervor und ermöglicht eine vorbewußte Wiedergabe des
Bildes, wie dies bei den Felsenzeichnungen der Fall war
3
. Auf die
Gezweiung höherer Ordnung gründet sich das Phänomen der Magie,
welches nicht nur für die Kulturanfänge, sondern auch für das Kunst-
schaffen späterer Epochen eine besondere Bedeutung hat. Diese
Erscheinung tritt uns in jeder Archaik, so auch in der griechischen,
entgegen. Diese Wurzeln sind in der Archaik stärker als in der hohen
Klassik und werden in der Folge immer schwächer, bis in den Hellenis-
mus hinein. Spann kann sich in diesem Zusammenhang nicht von
der Winckelmann-Goetheschen Tradition lösen. Für ihn bleibt daher
der Hermes mit dem Bacchosknaben des Praxiteles das Bild künstleri-
schen Meisterwerks der Antike schlechthin (Bd 19, 196, 231 und
327). Für unsere Augen jedoch müssen, wenn wir das Museum in
Olympia durchwandern, die Skulpturen der Friese des Zeustempels
an Ursprünglichkeit und ideeller Mächtigkeit das Praxiteleswerk über-
ragen, insbesondere die gebieterische Gestalt des Apollon am West-
giebel.
Spann bemüht sich stets, mit einer Fülle von Beispielen seine An-
sichten zu untermauern; ja, diese Beispiele haben im Werk geradezu
eine tragende Funktion. Er zitiert für den Bereich der Kunst vor
allem die deutschen Klassiker und Romantiker, ferner auch Shake-
speare sowie Homer und die griechischen Dramatiker, insbesondere
Aischylos und Sophokles, weniger Euripides
4
. In der Musik sind ihm
3
Hans Riehl: Die Kunst als Symbol, in: Zeitschrift für Ganzheitsforschung, Wien 1966,
Jg 10, Heft 4, S. 193 ff.
4
Zur Bedeutung Euripides’ vgl. Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur, Bern-
München 1971
3
, S. 409 ff.