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über seine bloß praktische Ebene noch nicht an / allen Punkten

erhoben haben. (Man bedenke z. B., daß es uns an einer

durchgreifenden Theorie der Handelsbilanz noch immer fehlt.) Aber

auch der größte klassische Theoretiker, Ricardo, hat vornehmlich nur

einen bestimmten Ausschnitt der Praxis, die Hochfinanz, den Handel,

im Hintergrund seiner Lehre gehabt. Darum ist für ihn Tausch und

Preisbildung fast der alleinige Gegenstand der Wissenschaft, seine

Theorie eine bloße Teiltheorie, indem sie nur jenen Ausschnitt der

Wirtschaft behandelt. Die Grenznutzenlehre wieder stellt wohl einen

entscheidenden Fortschritt in der Erkenntnis der Wert- und

Preiserscheinung dar, aber für den Gegenstand unserer Wissenschaft,

für die Begründung der Volkswirtschaftslehre als einer

gesellschaftswissenschaftlichen Theorie hat sie nichts geleistet, so daß

nach jahrzehntelangem Verfahrenstreit nichts erreicht und jüngst

sogar ratlos wieder der Ruf erhoben wurde: „Zurück zu Ricardo!“ (wie

dies Amonn in seinem Buch „Objekt und Grundbegriffe“

1

getan hat).

Können wir aber wirklich, nachdem die deutsche klassische

Philosophie wieder unter uns wach wird, nachdem ihre Vernichtung

des Naturrechtes von Fichte bis Hegel wieder lebendig wird, zu

Ricardo, zu all dem Atomismus, der in ihm liegt, zurückkehren?

Die geschichtliche Richtung dawider fühlt wohl im Innersten die

Unstimmigkeit einer bloß verkehrstheoretischen Forschung mit den

universellen Anforderungen, die an unsere Wissenschaft gestellt

werden müssen. Aber kurz entschlossen flüchtet diese Schule in die

geschichtliche Wirklichkeit und verliert gerade damit den Anschluß

an die Wissenschaft selbst, an das Wissen als ein erleuchtetes Gebäude

von Begriffen, welches eben immer nur Theorie sein kann. So

vermehrt die geschichtliche Richtung noch die Armut und

Ratlosigkeit, unter der die Volkswirtschaftslehre durch jene Umstände

einseitiger theoretischer Ausbildung leiden mußte, da sie doch als eine

Wissenschaft des Lebens und eines lebendigsten Teils der

menschlichen Gesellschaft von Reichtum überfließen möchte.

Wie absichtlich begrifflos die gegenwärtig in Deutschland

herrschende Volkswirtschaftslehre auch sein will, wie sehr sie, in ihrer

„realistischen“ Abart (Schäffle, Lexis, Ehrenberg, Harms, Passow und

andere), statt Geschichte gegenwärtigste Wirklichkeit, statt ab-

1

Alfred Amonn: Objekt und Grundbegriffe der theoretischen

Nationalökonomie (= Wiener Staatswissenschaftliche Studien, Bd 10, Heft 1),

Wien 1911.