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schied von „Abrichtung“, das ist unselbständiger Nachahmung, und
Ausbildung, das ist eigener Nachschöpfung des Vorbildes. Die
Gemeinschaft kann nicht für den Einzelnen fühlen, wollen und denken.
Daß die Potenzen, welche Glieder der Gesellschaft sind, Ichform
haben, daß die einzelnen Gezweiungsakte stets Glieder eines I c h s sind
(also im Ich rückverbunden), bestimmt das Gefüge der Gesellschaft.
Vernichtet das aber nicht, so könnte man fragen, den Universalismus, weil die Ichpunkte
logisch und sittlich autonom (selbständig) sind? Nein! „Ich“ als Seinsform des Geistes
bedeutet nur vita propria des Gliedes, nur gliedhafte Freiheit des Einzelnen; die wieder ihren
Ausdruck im Begriffe der i n d i v i d u e l l e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t erhält. Die
vita propria gewährt zwar dem Individuum sittliche und logische „Autonomie“, aber dem
Geist im empirischen Ablauf seines Lebens nicht Autarkie, da sich dieser Ablauf, dieser
Gebrauch der „Autonomie“ in G e z w e i u n g vollzieht: I c h f o r m d e s G e i s t e s i s t
m i t d e r r e i n e n G e s e l l s c h a f t l i c h k e i t s e i n e r D a s e i n s w e i s e
d u r c h a u s v e r e i n b a r , darum begründet sie noch keinerlei Individualismus.
III.
Nur die wesenhafte oder sittliche Geistigkeit im Einzelnen hat
wahrhafte Wirklichkeit
Daß der Einzelne nur als (ichförmige) Anlage zu denken ist, die in der
Gemeinschaft erst ihre Weckung und Entwicklung findet, hat die
grundlegend wichtige Folge: daß nur jene Anlagen, die aufbauende
Elemente des geistig-moralischen Gesamtdaseins (der Gesellschaft) sind,
zur vollen Entwicklung kommen. Was sich oben für das Ganze der
Gemeinschaft zeigte, zeigt sich auch hier für das Glied. Nur das j e w e i l s
A u f b a u e n d e f i n d e t i n d e r e s u m f a s s e n d e n
g e i s t i g e n
/
G e z w e i u n g
e i n e n
f r u c h t b a r e n
M u t t e r b o d e n ,
nur
das
Wesensgemäße
führt
volle
Vergemeinschaftung mit sich, ist allein auf bauend. So fand in der
spartanischen Gemeinschaft alles, was mutig und kriegerisch war, ein
volles Echo, so in der Platonischen Akademie der fruchtbare
philosophische Gedanke. Niemals können, wie die Gemeinschaft auch
beschaffen sei, a l l e Anlagen, alle Charaktere gleiche, volle
Entwicklungsbedingungen in der menschlichen Gemeinschaft finden.
Zum Beispiel werden verbrecherische geschlechtliche Anlagen in der
Natur keiner Gemeinschaft (sie sei denn selber entartet und