[164/165]
203
ter an, so wird die Stimme des politisch gänzlich unbelehrten und
unbeteiligten ländlichen Dienstmädchens offenbar überwertet, sie
wird künstlich auf die mittlere Höhe herauf gezogen; andererseits
gilt auch die Stimme des akademisch Gebildeten, des politischen
Führers, des Sachverständigen und Großunternehmers, des Gelehr-
ten, des Dichters nicht mehr, sie wird daher entwertet, wird ge-
waltsam auf das mittlere Maß heruntergedrückt. Gleichheit enthält
sohin notwendig ein Stück Unterwerfung und ist in dieser Hinsicht
Machiavellismus. (Darunter verstanden wir ja jene individualisti-
sche Auffassung, die dem Stärkeren die Herrschaft über den Schwä-
cheren zubilligt.) Die Gleichheit ist aber eine ganz besondere Abart
des Machiavellismus. Sie ist die Herrschaft des Schlechteren
1
, der
den Stärkeren zu sich hinabzieht. Sofern dabei aber die große Menge
die Höheren herabzieht und beherrscht, in der großen Menge je-
doch abermals der Abschaum zur Herrschaft drängt, drängt Gleich-
heit zuletzt gar auf Herrschaft des Lumpenproletariats hin. Dieses
veranschlagt, ist mit vollem Rechte der G r u n d s a t z d e r
G l e i c h h e i t a l s u m g e k e h r t e r M a c h i a v e l l i s m u s
z u b e z e i c h n e n — Herrschaft des Niederen über den Höhe-
ren.
Daß „Gleichheit“, wie wir nun ausgeführt haben, ein Mischbegriff
sei, enthielte an sich noch kein vernichtendes Urteil, aber daß er /
logisch Unvereinbares, daß er Individualistisches und Universalisti-
sches unorganisch mischen will, das muß ihn vernichten.
Zuletzt noch eine Frage, die, weil sie die persönliche Seite berührt,
vielleicht die wichtigste ist: die oben
2
schon berührte Frage, in-
wiefern Gleichheit Gerechtigkeit in sich schließt, ein so wunder-
licher und widerspruchsvoller Begriff, wie, theoretisch betrachtet,
die Gleichheit ist, könnte er keinen Tag lang Ansehen und Geltung
bewahrt haben, wenn nicht im geheimen unserer Brust etwas für
ihn spräche. „Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt“ —
ist es nicht, als ob das Reinmenschliche es sei, das nun erst ganz in
die Erscheinung träte, als ob eine Grundforderung menschlicher
Gerechtigkeit damit erfüllt würde?
Und in der Tat! Welche große Wahrheit liegt in diesem Gedanken
1
Von Platon bis heute ist dieser Hauptschaden der Gleichheit immer wieder
aufgezeigt worden.
2
Siehe S. 201.