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Nachprüfendem, die alle aufrichtig das Schöne und die Wahrheit
suchen, findet s o l c h e Freiheit als selbstauferlegte Beschränkung
der eigenen Ansprüche, als Achtung vor den Fehlern und Irrtümern
auch des Gegners statt und stiftet so in wahrer Gegenseitigkeit,
welche allseits die eigenen Kräfte steigert, indem sie sie bindet, die
fruchtbarste und vollendete Gemeinschaft.
Fassen wir den Gegensatz von Individualismus und Universalis-
mus im Freiheitsbegriffe kurz zusammen. Ist das Gegenteil der
Freiheit, individualistisch gedacht, Zwang, so ist ihr Gegenteil im
universalistischen Sinne Verkümmerung (Unterdrückung), während
Zwang sehr wohl noch ein Bildungselement für das Individuum sein
kann. Ist ferner individualistisch die Freiheit innerhalb der Gren-
zen, welche Sicherheit und Ordnung ziehen, unbeschränkt und ihre
Betätigung der / Weltansicht des Einzelnen überlassen, so hat Frei-
heit, universalistisch erfaßt, von vornherein eine i n n e r e
G r e n z e w i e e i n i n n e r e s Z i e l an den konstitutiven Kräf-
ten, in deren gegenseitigem Werden das Individuum erst sich selbst
gebiert und findet. Die Vollendung dieses Wesens ist das Gute. Und
so folgt ein sittliches wie ein dynamisches, entwicklungsmäßiges
Element für diesen Freiheitsbegriff, der schließlich mit der höchsten
auch die allseitige, harmonische Ausbildung der Fähigkeiten des
Einzelnen in sich schließt.
A n m e r k u n g , I. Auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft an-
gewandt folgt, daß individualistische Freiheitsorganisation staatlich völlig un-
durchführbar ist. Individualistische Freiheit geht auf Autarkie, auf geistige Iso-
lierung, zerstört also die Grundlage aller geistigen Kultur. Nie war denn auch
in der Geschichte dauernd ein Gemeinwesen auf individualistische Grundlage
gestellt.
2. Geschichtliche Umorganisationen der Staaten sind demgemäß ganz anders
zu beurteilen als herkömmlich. Daß im Mittelalter nur die „Gruppe“ existiert
habe, die Renaissance dann die künstlerisch-philosophische Befreiung des Indi-
viduums brachte
1
, die Reformation die religiöse, die Französische Revolution die
staatliche — das ist durchaus schief gesehen. S o l c h e g r o ß e U m w ä l z u n -
g e n s i n d U m w ä l z u n g e n d e r B i l d u n g s i n h a l t e s e l b e r , es sind
nicht primär organisatorisch-staatliche Umwälzungen. A u s b i l d u n g d e r I n -
d i v i d u a l i t ä t w a r a u c h i m M i t t e l a l t e r u n d z u j e d e r Z e i t
möglich: aber sie erfolgte kraft der Geschlossenheit der damaligen Kultur inner-
halb der herrschenden Bildungsinhalte. Sind diese nun zerfahren und unbestimmt
wie heute, kann freilich jeder so ziemlich tun und lassen was er mag. (Darunter
1
Jacob Burckhart: Die Kultur der Renaissance in Italien, Ein Versuch, Basel
1860, S. 141 f.