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rum, die in einem gemeinsamen Höheren ihren unmittelbaren Be-
zug hat, gegenseitig aber sich stofflich nichts mehr bietet. Die voll-
kommene Gleichheit der anbetenden Geister besteht eben in der
verehrenden Anerkennung. In der communio sanctorum ist eine
Stufe der Vollkommenheit erreicht, die in gewissem Maße schon
über die Gezweiung hinausführt, schon der Abgeschiedenheit näher
als der Gezweiung ist.
Die gegenseitig weckende und bildende Gemeinschaft ist auf eine
ganz bestimmte Art von Verschiedenheit innerhalb der Gleichheit
gegründet, und zwar auf gegenseitig sich ergänzende Gleichheit.
G e g e n s e i t i g s i c h e r g ä n z e n d e U n g l e i c h h e i t a u f
d e m G r u n d e d e r G l e i c h h e i t , d a s i s t d i e U r f o r m
a l l e r l e b e n d i g e n G e z w e i u n g . Alle früher gegebenen
Beispiele der Gezweiung bestätigen dies: die Gemeinschaft zwischen
Mutter und Kind (Mütterlichkeit auf Grund der Kindlichkeit), Leh-
rer und Schüler (lehren auf Grund der Unwissenheit, aber der Fä-
higkeit zum Wissen, erziehen auf Grund der Erziehbarkeit). Auch
Freundschaft heißt: einander etwas geben, leisten, wie das Beispiel
von Maler und Musiker zeigte.
Schon bei den Alten wurde die Streitfrage erörtert, ob Gleichheit oder Ver-
schiedenheit die Grundlage der Gemeinschaft bilde. A r i s t o t e l e s sagt: „Die
einen führen das Gefühl der Zuneigung auf Gleichheit des Wesens zurück und
meinen, Freunde seien solche, die einander von Wesen gleich seien; daher das
Wort: ,Gleich zu gleich“ oder ,Eine Krähe zur anderen Krähe“ und was der-
gleichen mehr ist. Andere sagen im Gegenteil, die Menschen verhielten sich sämt-
lich so zueinander wie ein Kunstgewerbler zum anderen, und suchen die Erklä-
rung dafür in allgemeineren Beziehungen, auch in den Erscheinungen der äußeren
Natur. So sagt Euripides: ,Es liebt das Land den Regen“, das ausgedorrte näm-
lich, und ,Es liebt der hehre Himmel, wenn es regenschwer, zur / Erde sich zu
senken“, und Heraklit spricht vom ,Widerstrebenden, das zusammenhält“; er
meint, aus der Verschiedenheit ergäbe sich die schönste Harmonie und alles
erzeuge sich auf dem Wege des Streites.“
1
Aristoteles selbst hilft sich durch die Unterscheidung von zweierlei Freund-
schaftsverhältnissen. Die echte Freundschaft, die Freundschaft im höchsten Sinne,
beruhe auf Gleichheit. „Freundschaft bezeichnet man als Gleichheit, und dies gilt
am meisten von der Freundschaft zwischen Edelgesinnten.“
2
— „Nun gibt es
aber weiter eine zweite Art von Verhältnissen der Befreundeten, die sich durch
Überlegenheit des einen Teiles über den andern kennzeichnet; das ist der Fall
1
Aristoteles: Nikomachische Ethik, ins Deutsche übertragen von Adolf
Lasson, Jena 1909, VIII. Buch, 1, 1155a, S. 169.
2
Aristoteles: Nikomachische Ethik, ... VIII. Buch, 5 (Ende), 1157b, S. 176.