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Förderliches leisten. Sie sind Werkzeuge mit möglichst großer „power to work“;
sie sind „rules for actions“ und so der Nützlichkeit für unsere Bedürfnisbefrie-
digung und für unser geistiges Leben gleichzusetzen, das sich aber selbst wieder
nur aus praktisch-vitalen Zwecken ableitet.
Über das Haltlose dieser Theorie ist kein Wort zu verlieren. Nur schade, daß
sie selber ein unpatentierbares Instrumentarium bildet. Da waren die alten Skep-
tiker doch aufrichtiger und mutiger, indem sie sagten: „Nichts ist wahr“, und
hinzufügten: „auch dieses nicht“.
B. Die n i c h t - e m p i r i s t i s c h e A u f f a s s u n g
Man darf es heute, wo durch die Neubelebung des Kantstudiums
die erkenntnistheoretische Bildung wieder auf einer gewissen Höhe
steht, ruhig aussprechen, daß die empiristisch-relativistische Auf-
fassung des Erkennens die von Nicht-Kennern ist. Dem empiristi-
schen Satze „nihil est in intellectu quod non fuerit in sensu“ darf
man die folgenden drei Worte Leibnizens, die auch schon die ganze
Kantische Erkenntniskritik in sich schließen, entgegenhalten: „ n i s i
i n t e l l e c t u s i p s e“, außer dem Verstande selbst! Das will sa-
gen: daß die Sinnesempfindungen selbst schon eine Stufe des Ver-
standes, eine Stufe des Wissens / darstellen, schon etwas Geformtes,
schon etwas in bestimmter Art Aufgefaßtes sind. Verstand, Wissen-
schaft ist schon in jeder Wahrnehmung und in jedem Denkakte ent-
halten. (In diesem Sinne auch Goethe: „Das Höchste wäre, zu be-
greifen, daß jede Tatsache schon eine Theorie ist.“) Das Logische,
Formende des Wissens ist darum dem Wesen nach vor aller Erfah-
rung.
Von Platon und Aristoteles bis Hegel haben alle Philosophen, die diesen
Namen verdienen, einen solchen Standpunkt eingenommen. Kant hat ihm eine
besondere Untersuchung gewidmet. Die Frage: was ist Erfahrung, was ist Er-
kennen? hat nach ihm eine Vorfrage: wie ist Erfahrung, wie ist Erkennen (Wahr-
heit) möglich? Und er antwortete im Sinne jenes „nisi intellectus ipse“, daß
das Schema der Erfahrung als F u n k t i o n s w e i s e o d e r K a t e g o r i e in
unserem Verstande (als einem synthetischen Vermögen) vor aller Erfahrung
(also „apriorisch“) enthalten sei, aber an der Erfahrung entwickelt werde. Ent-
scheidend ist nicht der Stoff der Erfahrung, welcher wechselt, sondern die allem
Wechselnden zugrunde liegende schöpferische Gestaltungsweise des Erfahrungs-
stoffes
1
.
Da „Erfahrung“ im gesellschaftswissenschaftlichen Sinne die Bedeutung der
„Umwelt“ hat, ist diese Frage noch weiter zu behandeln.
Apriorische Denkform, apriorische Empfindungsform; vgl. auch oben S. 256 ff.