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III. Die Stellung der Wissenschaft in Gesellschaft und Leben

A. G r u n d s ä t z l i c h e S t e l l u n g

Was bedeutet Wissenschaft für das innere Leben des Menschen?

Das ist die Frage, die wir hier stellen. Denn was Wissenschaft im

Leben bedeutet, das bedeutet sie auch in der Gesellschaft.

Hier ist einem tiefgewurzelten Irrtume entgegenzutreten, näm-

lich der Meinung, Wissenschaft bestünde in einer Menge von Kennt-

nissen; viele Kenntnisse machten daher den Inbegriff von Gelehr-

samkeit aus, und ein Mensch, der viele Kenntnisse besitze, sei ein

Gelehrter, so daß ein vollkommen gelehrsamer Mensch der wäre,

der sich ausschließlich seinen Kenntnissen widmete. Überall ist die-

ser Irrtum verhängnisvoll, aber nirgends so sehr wie in den gesell-

schaftlichen Wissenschaften. — Edward George Bulwer hat diese

Idee der Wissenschaft und des Gelehrten in seinem Roman „Zanoni“

dargestellt. Der Held „Mejnour“ zieht sich darin als alter Mann,

nachdem er das Lebenselixier gefunden, in die Einsamkeit zurück,

wo er absolut an nichts Menschlichem Anteil nimmt, sondern ge-

wissermaßen am Nordpol des Geistes lebt und dort nun, solange die

Welt steht, physikalisch-chemische Experimente macht und Kennt-

nisse sucht. Ohne Liebe, ohne Haß, ohne Gefühl, ohne Zusammen-

hang mit einem Menschen, gleichsam nur als Mumie sich selbst über-

lebend, wird er des Daseins auch nicht froh und auch nicht der von

ihm durchforschten Natur, die er als eine ewig weiterlaufende Ma-

schine betrachtet.

Diese Auffassung vom Wesen der Wissenschaft und des Gelehrten

ist an der Wurzel verfehlt. Eine lebensfremde Wissenschaft, ein

Nordpol des Denkens wäre ein hölzernes Eisen. Wissenschaft ist

nicht Vereinsamung noch Weltfremdheit. „Wissen“ ist zwar Wis-

sen des G e g e n s t a n d e s (das ist eine Unterscheidung des Ge-

wußten von sich selbst), aber darum keine Tat des e i n s a m e n

Verstandes. Wissenschaft entsteht nur in der Erkenntnisgemeinde,

ist die Tat einer lebendig auf- / bauenden Gezweiung. Rein sub-

jektives Wissen ist unmöglich, denn Wissen ist zugleich ein Erleuch-

tetwerden vom anderen Geiste sowohl wie vom Dinge, ein Mit-

gehen mit dem Lebendigen in der Schöpfung.