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Gabenopfer liegt vor, wenn das Opfertier den Empfängern ganz überlassen wird,

zum Beispiel im Totenkult, im Heroenkult, im Meeresopfer der Griechen, bei

welchem Pferde, / Stiere usw. ins Meer geworfen werden. Die Speiseopfer sind

namentlich bei den Griechen keine Gabenopfer; denn einmal erhalten davon die

Götter keinen wesentlichen Anteil, und zum zweiten ist das Opfer auch in seinen

Überresten heilig, selbst die Asche bleibt am Opferplatze — daher das Speiseopfer

als Kommunion gedeutet wird, „in der sich der Gott und seine Verehrer zum

gemeinsamen Mahle vereinigen... Selbstverständlich ist diese strenge Auffas-

sung mit der Zeit abgeschwächt worden, je mehr das Opfer zum Festmahl wurde.

So schon bei Homer..

C. K r i t i k d e r e m p i r i s t i s c h e n

R e l i g i o n s s o z i o l o g i e

Unsere Darstellung versuchte, ein Bild der Einzelforschung der

naturalistischen Religionssoziologie von heute zu geben. Die Ärm-

lichkeit und Äußerlichkeit jener vielgerühmten „Ergebnisse“, an

denen die Arbeit ganzer Forschergeschlechter hängt, ergibt sich

ohne jede kritische Zutat unsererseits von selbst. Es möge aber noch

eine grundsätzliche Äußerung hier Platz finden, welche den Geist

beleuchtet, der diese gesamte Religionsforschung, auch wenn sie von

Theologen geführt wurde, leitete.

„Der Polytheismus und Monotheismus“, so sagt W e n d l a n d i m „ H a n d -

b u c h z u m N e u e n T e s t a m e n t “ , „hat sich erst auf der breiten Grund-

lage niederer Glaubensformen, roherer Vorstellungen von Geistern und Dämo-

nen erhoben.“ „Wo der primitive Mensch Wirkungen beobachtet und erlebt;

die er nicht erklären kann, in der Gewalt des Feuers, im Blitz und Donner,

Regen und Sturm... empfindet er eine rätselhafte Macht, die stärker ist als der

Mensch... Er stellt sich als Träger der Kraft ein Wesen vor, das er nach Ana-

logie des eigenen Wesens mit Bewußtsein... begabt denken muß. Eine Fülle

von Seelenwesen, die hinter den Phänomenen stehen, projiziert er in die Natur.

Die gestaltende Phantasie faßt die Götterpersonen in immer schärfere Umrisse ...

und sichert sich durch eine ihnen bequeme Wohnstätte ihre Gegenwart und

Hilfe... Erfahrungen, die vom Seelenleben ausgehen, bereichern die religiöse

Vorstellungswelt... Es ist ein langer ... Prozeß fortschreitender Ausgestaltung ...

[und] Zurückdrängung der psychischen Potenzen durch geistige und sittliche,

der die Religionen der historischen Zeit geschaffen hat. Die Beobachtung des...

Wechsels von Tag und Nacht..., der Jahreszeiten ... hat der Entwicklung der

religiösen Vorstellungen die Richtung(en) vom ... Zufälligen auf das ... All-

gemeine, von beschränkten zu universaleren Göttern gegeben.“

2

1

Martin Paul Nilsson: Griechische Religion,... S. 277.

2

Paul Wendland: Die hellenistisch-römische Kultur, in: Handbuch zum Neuen

Testament, herausgegeben von Hans Lietzmann, 2. Aufl., Tübingen 1912, S. 98 f.