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c. Das Tabu

Von dieser Auffassung aus wird auch das T a b u erklärt. Die

„Kraft“ gelte als übertragbar. Gegenstände, Personen, Örtlichkeiten

können mit ihr „geladen“ werden (ähnlich wie etwa mit Elektrizi-

tät). Die mit der Kraft geladenen Gegenstände und Menschen sind

gleichfalls tabu und dürfen nicht berührt werden. „Tabu“ heißt so

viel wie unverletzlich, verboten. Wenn z. B. der Häuptling oder

Priester gewisse Speisen tabuiert, dürfen sie nicht genossen, wenn

gewisse Örtlichkeiten, dürfen sie nicht betreten werden. Häuptling

und Priester sind tabu. Durch umständliche Gebräuche und Reini-

gungen kann man sich jedoch wieder vom Tabu befreien. Je nach

dem Grunde des Tabu kann das Tabuierte heilig oder unrein (ver-

flucht) sein.

Da die „Tabu-Mana-Formel“ von den Präanimisten als eine

„neue Minimumdefinition“ der Religion gegenüber dem „Animis-

mus“ betrachtet wird, führt sie unmittelbar dazu, den Zauberglau-

ben als die älteste Stufe der Religion zu betrachten, wie aus dem

Früheren schon hervorging.

Da der Zauber nach der ethnologischen Schule in der Kunst besteht, jene

„Kraft“ nach Belieben zu handhaben, wird sie auch als die „primitive Wissen-

schaft“ definiert. Frazer unterscheidet zwei Formen: die kontagiöse Magie, wobei

die zu bezaubernden Personen oder ihre Haare, Geräte berührt werden; und die

sympathetische oder homöopathische, wobei zum Beispiel ein Bild der zu be-

zaubernden Personen bezaubert wird. — Die ethnologische Schule erörterte die

Frage, ob Magie schon Religion im eigentlichen Sinne sei. Der Unterschied liege

darin, daß die Religion p e r s ö n l i c h e Kräfte in der Natur nach der Ähnlich-

keit mit sich selbst vorstellt, während in der Magie unpersönliche Kräfte benützt

würden; oder man sagt, die Magie sei egoistisch, antisozial, jeder zaubert zu

seinem Nutzen; die Religion sei sozial. Doch wird auf die engste praktische und

wesenhafte (theoretische) Verbindung von Religion und Magie nachdrücklich hin-

gewiesen. Ein bunter Geister- und Dämonenglaube sei von einem bunten All-

beseelungsglauben (Animismus) und Götterglauben nicht sehr verschieden.

Die Magie reicht hoch in die ausgebildeten Regionen hinauf. Heilkultus, zum

Beispiel Weihen des kranken Gliedes; Kommunion, in der der Mensch sich die

göttliche Substanz einverleibt, wodurch er selbst göttlich wird (zum Beispiel /

in der dionysischen

ώμοφαγία

);

Wetterzauber, zum Beispiel durch Bittprozes-

sionen; Fruchtbarkeitszauber, Abwehrzauber sind auch heute noch feste Gebräuche,

die von der ethnologischen Schule als „prädeistische Zauberzeremonien“ betrach-

tet werden müssen „und nur äußerlich und nachträglich an einen Gott ange-

knüpft worden sind“

1

.

Martin Paul Nilsson: Griechische Religion, . . . S. 275.