396
[327/328]
Diese Worte sind recht kennzeichnend für die übliche Auffas-
sung von Wesen und Entstehung der Religion im gesamten Lager
der naturalistischen Soziologie. Die Religion soll entweder eine
leere Theatralik der Natur abschildern, indem sie Blitz- und Don-
nergötter / agieren läßt, im „Animismus“; oder sie soll eine
kindliche Ursachenerklärung der Traumerscheinungen und Verzük-
kungen geben, im „Manismus“; ja, sie soll noch weniger als das sein
und soll bloß unpersönliche Kräfte vorstellen, im „Präanimismus“.
Aber gerade im „Präanimismus“ straft sich der empiristische Stand-
punkt am grellsten Lügen. Der P r ä a n i m i s m u s m u t e t
d e n e i n f a c h s t e n W i l d e n ä h n l i c h e A b s t r a k t i o -
n e n z u w i e d e m m o d e r n e n P h y s i k e r u n d N a -
t u r w i s s e n s c h a f t l e r . Die Wilden sollen die Natur mecha-
nisch und leblos auffassen! Die Wahrheit ist aber, daß der einfache
Naturmensch niemals den kunstvollen, abstrakten, lebensleeren Be-
griff eines reinen M e c h a n i s m u s zu fassen vermag. Hierin ist
er übrigens nach der Meinung des Verfassers dieser Zeilen dem neu-
zeitlichen, durch Rationalismus und „Aufklärung“ verbildeten Men-
schen überlegen, der es zu einer völlig seelenlosen, nämlich mecha-
nisch-ursächlichen Naturvorstellung nicht nur zum Zwecke wissen-
schaftlicher Untersuchung, das heißt als Unterstellung, gebracht hat,
sondern auch im Leben davon beherrscht wird. Ob die Natur wirk-
lich ein toter Mechanismus ist, steht hier nicht in Frage. Daß der
Naturmensch sie als solchen nicht zu denken vermag, aber außer
Zweifel
1
.
Der grundsätzliche Vorwurf aber, den man allen empiristischen,
naturalistischen Schulen von Hume, Comte und Feuerbach an bis
zu den Präanimisten von heute, machen muß, ist: daß sie Re-
l i g i o n o h n e R e l i g i o s i t ä t e r k l ä r e n w o l l e n . Eben-
sogut könnte man den Hunger aus den Speisen erklären, wie die
Religion aus den Gegenständen. Das tun aber alle Empiristen, denn
sie erklären aus den Gegenständen (Sternenhimmel, Träume, Kulte)
die Religion und kehren damit die Wahrheit um. Darum gehen
diese „Tatsachenforscher“ so oft gerade an der Grundtatsache, an der
1
Daß auch die Natur nie und nimmer ein Mechanismus im strengen, ge-
nauen Sinne dieses Wortes ist, darüber vergleiche mein Buch: Der Schöpfungs-
gang des Geistes, Jena 1928, S. 175 ff. und 335 ff. (= Ergänzungsbände zur
Sammlung Herdflamme, Bd 3).