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den Dingen und der Welt zum Göttlichen, daher der asketische Zug, der jeder
metaphysischen Lehre notwendig innewohnt; in der Kunst dagegen vollzieht sich
die Geburt der Dinge aus dem Göttlichen als notwendige Produktion, Kunst ist /
das Erleben der Dinge selber, von ihrer kosmischen Wurzel her. Daher muß
die Kunst in den Dingen verbleiben, Philosophie über sie hinausstreben. Was
hier nur Symbol ist, wird dort Wirklichkeit.
Von dieser Bestimmung aus ist die Frage nach der Überlegenheit des einen
Kulturelementes über das andere zu beurteilen. Das künstlerische Erlebnis geht
entschieden über das philosophische hinaus, der Aufschwung, den der menschliche
Geist in der Erzeugung des Zeitlichen aus dem Unendlichen nimmt, ist um eine
Bestimmung höher als in der Philosophie. Aber die künstlerische Hervorbrin-
gung ist in ihrer geheimsten Tat unbewußt, und so kann Kunst den mensch-
lichen Geist nicht selbst regieren. Was der Mensch als bewußtes Vernunftwesen
erreichen kann, erreicht er am höchsten durch Philosophie. D a r u m b l e i b e n
r e l i g i ö s e P h i l o s o p h i e u n d p h i l o s o p h i s c h e R e l i g i o n d a s
a b s o l u t f ü h r e n d e K u l t u r e l e m e n t . Und der Gesamtwert von Ras-
sen und Kulturen ist zuerst nach der philosophisch-religiösen und von da aus
nach der von dieser bestimmten künstlerischen Leistung zu bestimmen.
Einer besonderen Erklärung bedarf noch das V e r h ä l t n i s
d e r V o r r ä n g e u n t e r e i n a n d e r . — Es ist dadurch be-
zeichnet: daß kein Teilganzes durch seinen Vorrang die Zwischen-
glieder überspringen kann.
Der Begriff des Vorranges führt dazu, daß schließlich nur ein ein-
ziger Teilinhalt der oberste sein, das heißt den unbedingten Vorrang
haben kann, das metaphysische Element. Aber wesentlich ist, daß
dieses nicht u n m i t t e l b a r sämtliche nachgeordneten Teil-
inhalte beherrscht und führt. Stets können vielmehr nur die mit-
einander im unmittelbaren Gliedschaftsverhältnisse stehenden Teil-
inhalte (oder Gezweiungsglieder) ihren Vorrang unmittelbar aus-
üben (ähnlich etwa wie der General nur seinen Obersten unmittel-
bar Befehle gibt und seinen höheren Rang zur Geltung bringt,
seinen zahllosen und vielfaltigen Soldaten aber nur durch V e r -
m i t t l u n g e n der Zwischenglieder hindurch). — Wenn die Re-
ligion z. B. die Wirtschaft führen und gestalten soll, so kann sie das
nicht unvermittelt tun, sie kann Sittlichkeit, Staat, Recht, und was
sich sonst noch dazwischen schiebt, n i c h t ü b e r s p r i n g e n ;
sie kann nicht a b s t r a k t den Vorrang überall zur Geltung brin-
gen, nicht abstrakt führen; sondern nur das ihr u n m i t t e l b a r
benachbarte Gebiet gestalten. Das Religiöse kommt im Wissen, das
Wissen in Kunst, das Geistursprüngliche (wie wir später zeigen wer-
den) in Sittlichkeit zur Geltung. Durch diese V e r m i t t l u n g e n
hindurch gilt: Frömmigkeit will sich in Sittlichkeit verwandeln,