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B. Die s o g e n a n n t e K l a s s e
Die Frage, welchen Sinn der Begriff von „Klasse“ oder „Stand“
hat, ist im obigen durch unseren Begriff des Handelns beantwortet.
Wir fanden das „Handeln“, weil es das Geistige entfaltet (aktuiert),
durch eben diese seine Begründung auf das Geistige grundsätzlich
bestimmt. Jene Frage bedarf aber im Hinblick auf die Verwir-
rung, / die in diesem Punkte heute in Volkswirtschafts- und Gesell-
schaftslehre besteht, besonderer Erörterung
1
.
Heute pflegt der Begriff „Klasse“ fast nur nach einer einzigen
Fragestellung behandelt zu werden, in jener, die durch den histori-
schen Materialismus Marxens bedingt ist. Die erste Aufgabe jeder
begrifflichen Untersuchung ist daher, sich von der Umklammerung
des Marxismus zu befreien und die ursprüngliche, wesensgemäße
Fragestellung wieder zu erlangen.
Welche ist aber diese ursprüngliche Fragestellung? Hierauf gibt es
nur eine Antwort: Die rein gesellschaftswissenschaftliche, sozio-
logische, welche keine einheitliche, sondern nur eine zweifache Be-
handlung erlaubt, die individualistische und die universalistische.
l .
D i e i n d i v i d u a l i s t i s c h e E r k l ä r u n g
d e r „ K l a s s e “
Individualistisch ist der Begriff der Klasse, wenn er von folgenden
Voraussetzungen her entwickelt wird.
Die Gesellschaft besteht lediglich aus Einzelnen, sie ist nur eine
Summierungs-, eine Häufungserscheinung, daher muß auch die
„Klasse“ diese Natur teilen. Jedoch ist die Frage, welcher Art der
Summierungsgrund für jene Erscheinungen ist, welche man als
„Klasse“ zu bezeichnen pflegt.
Marx hat darauf mit der unbeirrten Entschiedenheit des Materia-
listen und Revolutionärs geantwortet: die w i r t s c h a f t l i c h e
Gleichheit ist der Summierungsgrund, „Klasse“ wäre darnach ein
Aggregat von Einzelnen gleicher wirtschaftlicher Lage oder „In-
teressen“. Menschen wirtschaftlich gleicher Lage bilden allein die
* S.
1
Die folgenden Ausführungen zum Teil nach meinem Aufsatz: Klasse und
Stand, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd V, Jena 1923,
S. 692 ff.