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derzeit“ bekannt. Das Bedeutendste aber ist der innere kulturelle Aufschwung,
den man in und nach kriegerischen Zeiten immer festgestellt hat. Der Auf-
schwung vor und nach 1813 ist wohl das schönste Beispiel hierfür. Er hat die
Romantik mitgeschaffen, er hat die Philosophie von Fichte bis Hegel mit allen
ihren edlen Nebenblüten, den Lehren von Schleiermacher, Krause und vielen
anderen mit hervorgebracht und, was das größte ist, zum wirklichen, lebendigen
Bestandteil der nationalen Bildung gemacht. Die Griechen vor und nach den
Perserkriegen waren andere. Welches Geschlecht hätte die Akropolis und ihre
unendliche Fülle von Kunstwerken schaffen können als jenes, das mit Weib
und Kind Athen verlassen, die Stadt dem Feinde preisgeben und dann in einer
Seeschlacht sich selbst nochmals ganz und völlig einsetzen mußte? Nur diese
dem reinen Begriff des Lebens nahegerückten Menschen konnten Athen so
wieder aufbauen, wie es wirklich geschah, und die herbe Schicksalstragödie des
sophokleischen „Ödipus“ als Gemeingut der Bildung in sich aufnehmen. Zuletzt
hat selbst der Russisch-Japanische Krieg Japan die mächtigsten Anstöße gegeben
und sogar Rußland, das seiner besonderen Natur nach einen viel größeren
Ansporn zur Regeneration braucht, nicht ohne stärkenden Einfluß gelassen.
Das Blut der gefallenen Krieger ist die feurige Arznei für die kreisenden
Säfte des staatlichen Organismus. Ja, dieses dem Tod-ins-Auge-Sehen ist es
allein, was einer Zeit den wahrhaft klassischen Grundzug verleihen kann — den
herben Grundzug des Lebens, abgewandt allem Kleinlichen und Immanenten
und vom Bewußtsein des Wechselvollen menschlicher Schicksale getragen.
Gewiß soll die Furchtbarkeit des Krieges, die ihm unter allen Umständen
bleibt, soll das b a r b a r i s c h e Unheil, das er ungezählt vielen bringt, nicht
verdeckt und bemäntelt, auch soll der unendliche Vorteil ungestörter Friedens-
arbeit nicht geleugnet werden. Die Akropolis konnte nur im Frieden gebaut
werden — aber der Friede macht erst fruchtbar und erntet, was der Krieg
gesät. Ein anderer, ein endlos langer Friede indessen, ohne all die Aufwühlungen
und gerechten Richtigstellungen des Krieges trägt ebenso gewiß große Gefahren
in sich. Am meisten die Gefahr der Vereinzelung statt höherer Verbindung
aller, statt höherer Belebung der Gemeinsamkeit; die Gefahr der Erstarrung
statt Steigerung der Lebendigkeit. Darauf hat A d a m M ü l l e r , der die er-
lösende Befreiung aus alten Fesseln durch die Napoleonischen Kriege lebhaft
empfand, eindringlich hingewiesen
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Von älteren Schriften ist Adam Müllers Werk: Die Elemente der Staats-
kunst (1809), neu herausgegeben von Jakob Baxa, 2 Halbbände, Jena 1912
(= Die Herdflamme, Bd 1), hervorzuheben. Hier findet der Krieg eine tief-
blickende Behandlung, die für uns heute um so wichtiger ist, als sie aus Zeiten
schwerer kriegerischer Erschütterungen stammt. Das gleiche gilt von Fichtes Vor-
lesung: Uber den Begriff des wahrhaften Krieges in bezug auf den Krieg im
Jahre 1813, im WS 1812/13 gehalten. (Sämtliche Werke, herausgegeben von
Immanuel Hermann Fichte, Bde 3 und 4: Zur Rechts- und Sittenlehre, Bd 4,
Berlin 1845, in der Ausgabe von Fritz Medicus Bd VI, Leipzig 1912.) — Aus dem
neuesten Schrifttum: Social History of War, herausgegeben von der Carnegie-
Stiftung, New York 1920 ff.; deutsche Serie: Wirtschafts- und Sozialgeschichte
des Weltkrieges, Stuttgart 1926 ff.; österreichische und ungarische Serie, Wien
1924 ff. — Sebald Rudolf Steinmetz: Soziologie des Krieges, Leipzig 1929.