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werden. Stets bleibt sie bedeutungsvoll und unersetzlich und hat selbst die Ver-

ständigung durch das Wort unter allen Umständen zu begleiten und zu beleben.

Auch für größere Verhältnisse ist sie wichtig, so beim Schauspiel, in der öffent-

lichen Rede und bei Massenansammlungen. Der Führer einer erregten Menge

kann diese oft durch eine einzige Gebärde in Bewegung setzen oder zur Ruhe

bringen.

B. Die S p r a c h e

Bei der gesellschaftswissenschaftlichen Betrachtung der Sprache

ist streng zu scheiden: erstens die Sprache als Organismus von Be-

deutungen und Formen. In dieser Eigenschaft ist sie ein i n t e l l i -

g i b l e s G a n z e s des grammatischen Bestandes, des Wort- und

Lautschatzes; zweitens die Sprache als G a n z h e i t a l l e r S p r e -

c h e n d e n . Erst in dieser Eigenschaft ist sie gesellschaftlich-aktu-

ierte (nicht bloß intelligible) Ganzheit und darum Gegenstand der

Gesellschaftslehre. Wir / haben uns nur mit der Sprache in letzterer

Eigenschaft zu beschäftigen, die erstere betrachten wir nur in einem

kurzen Überblicke.

Die Sprache als intelligibles Ganzes unterliegt demselben Gegen-

satz der Betrachtung wie alles Geistige, dem des Empirismus und des

Idealismus. Es sind hauptsächlich die beiden Probleme des Ur-

sprungs der Sprache und ihres Verhältnisses zum Denken, um die

es sich dabei handelt.

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1. Die e m p i r i s t i s c h e E r k l ä r u n g d e r S p r a c h e

Die empiristischen Theorien über den Ursprung der Sprache kann

man folgendermaßen einteilen:

(1)Erfindungstheorien, wonach die Sprache als Schöpfung einzel-

ner hervorragender Menschen anzusehen ist;

(2)

die psychogenetischen Theorien, welche als Sprachfaktoren

betrachten: Reflexschreie, Interjektionslaute („Puhpuh-Theorie“);

Ausdrucksbewegungen, Onomatopöie (Lautmalerei) und Nach-

ahmung („Wauwau-Theorie“ oder Nachahmung tierischer Laute);

Mitteilungsbedürfnis, gemeinsame Arbeit, Assoziation und anderes.

Wilhelm Wundt leitet die Sprache von Ausdrucksbewegungen ab, so

daß ihm die ursprüngliche Sprache ein System von „Lautgebärden“

ist.