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auch stilles, unausgesprochenes Benennen sein muß, je schärfer es
seine Begriffe bestimmen, je mehr es zum klar bestimmten Begriffe
kommen soll.
In einem anderen Sinne allerdings „entsteht“ Sprache unaufhör-
lich. Um die sprachschöpferische Tat des menschlichen Geistes zu
begreifen, muß man wieder auf die Eingebung zurückgehen. Sollten
hier nicht die musikalischen Meister am deutlichsten den Weg zei-
gen? Man muß sich die sprachschöpferische Tat des Geistes so vor-
stellen wie die Entstehung von Mozarts Musik: der innere Rhyth-
mus der Dinge selbst wird in dieser Musik laut, bricht in ihr un-
mittelbar hervor; die Eingebung des Dinges ist in die Gestalt seines
inneren Rhythmus gefaßt. Darum, wer Mozarts Musik anhört, ist
Gast in der Ideenwelt. Man denke, um unter unzähligen Beispielen
nur eines herauszugreifen, an den Satz jener Sonate, die mitten in
den „Figaro“ Mozarts eingebettet ist, den Satz „Geschwind die Tür
geöffnet“
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. Hier ist der Rhythmus des Geschehens rein erfaßt. —
Das Bestimmtsein der Musik von der Gattung (Idee) durch das
Besondere des einzelnen Gegenstandes hindurch darf auch den
Sprachlauten nicht fehlen. Die Laute und Formen der Sprache sind
Sinnbilder (Symbole, das sind Glieder mit stellvertretendem Werte),
sie sind keineswegs mechanische, äußere, willkürliche Zeichen. Zwar
k a n n ein Verständigungssystem in weiteren Ableitungen nach
Willkür und Übereinkunft künstlich gemacht werden, wie es das
Morsesystem, die Flaggenwinke und anderes beweisen, aber das ist
erst möglich, nachdem schon das Naturgewachsene und der innere
Gehalt einer Sprache dem Geiste seine Gestalt gegeben hat.
Die lebendige Sprache wird daher nicht künstlich erfunden, ent-
steht auch nicht durch „Entwicklung“, nicht durch Hinzufügen und
Hinwegnehmen, sondern eruptiv, ekstatisch, aus einem ungeteilten /
inneren Sinn heraus, der den Ideengehalt der Dinge wie traumwan-
delnd schaut und vermögend ist, dem Erschauten einen Ausdruck,
eine Gestalt dadurch zu geben, daß sie das Sinnensystem unseres Lei-
bes, insbesondere auch die Stimmorgane bewegt, ähnlich wie beim
Tanzen der Ausdruck in den Gliederbewegungen des Leibes un-
m i t t e l b a r zur Geltung kommt. — Da nun alle diese Eingebun-
gen und ihre Ausdrücke nicht vereinzelt denkbar sind, sondern stets
nur gliedhaft, darf die Sprache auch nicht von den einzelnen Worten
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Nr. 14, Duett Susanna-Cherubin.