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[412/413]

Er sagt darüber: „Nach der vulgären Auffassung ist es entweder ein so-

genannter Mitteilungstrieb oder es sind intellektuelle Vorgänge, willkürliche

Reflexionen und Handlungen, wodurch eine Mitteilung eigener Bewußtseinsinhalte

und andere entstehen soll. Aber wenn wir die Gebärdensprache in ihrem Ur-

sprung beobachten, so lehrt sie ganz etwas anderes. Nicht aus intellektuellen

Überlegungen und willkürlichen Zwecksetzungen, sondern aus dem Affekt und

aus den den Affekt begleitenden unwillkürlichen Ausdrucksbewegungen ist sie

hervorgegangen ... Was zu ihr noch erfordert wird, das ist nur, daß die affekt-

betonte Vorstellung nicht der bloße Ausdruck der eigenen Gemütsbewegung

ist, sondern, daß sie die gleiche Gemütsbewegung und durch sie die gleiche Vor-

stellung in anderen erweckt, worauf diese... mit gleichen oder abgeänderten

Ausdrucksbewegungen antworten. So entwickelt sich ein gemeinsames Denken,

in welchem mehr und mehr die triebartigen in willkürliche Handlungen über-

gehen, während zugleich die Vorstellungsinhalte mit den sie bezeichnenden Ge-

bärden in den Vordergrund treten. Die Ausdrucksbewegung des Affekts wird

dabei durch die Vorstellungsinhalte des letzteren zur Vorstellungsäußerung und

diese gestaltet sich durch die Mitteilung... an andere zum Gedankenaustausch,

zur Sprache.“

1

— Die Relativierung der Sprache wird auf die Spitze getrieben

von Fritz Mauthner

2

.

Den empiristischen Lehrern gemäß soll sich auch in dem verschiedenen

Sprachbau ein stets anderer Zustand des Denkens, eine andere Logik ausdrücken.

Die meisten modernen Sprachforscher vertreten die rein empiristische Auffassung. /

2. Die n i c h t - e m p i r i s t i s c h e E r k l ä r u n g

Die nicht-empiristischen Theorien, die man heute oft fälschlich,

weil mit einem empiristischen Nebenklang, „nativistisch“ nennt,

lehren eine ursprüngliche Bedeutung der Laute. Danach drücken die

Sprachformen und Zeichen das Wesen ihres Gegenstandes aus. Spre-

chen ist ein Nachschaffen der Dinge, indem das Denken (Wesens-

denken) seine Zeichen erhält, welche das Wesen, wenn auch unvoll-

kommen und unwillkürlich, so doch sinnbildlich (und das heißt

sachbegründet) ausdrücken.

Der Ursprung der Sprache ist daher auch n i c h t v o m einzel-

nen Geiste aus, seinem „Mitteilungsbedürfnis“, seiner „Wechsel-

wirkung“ zu erklären (ein Widersinn: um mitteilen zu wollen,

müßte er schon v o r h e r d i e S p r a c h e h a b e n ; um in Wech-

selwirkung zu treten, müßte er schon vorher geistig da und fertig

sein); sondern nur vom Ganzen des geistigen Universums her.

*

1

Wilhelm Max Wundt: Elemente der Völkerpsychologie, Grundlinien einer

psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit, 2. Aufl., Leipzig 1913,

S. 60 f.

2

Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, 3 Bde, Stuttgart

1906—13 (= Die Gesellschaft).