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theoretischer Voraussetzung möglich. Theorie ist nicht ohne Ge-
schichte, Geschichte ist nicht ohne Theorie denkbar. Geschichte ist
nur im Allgemeinen, Allgemeines ist nur im Geschichtlichen.
Hiermit ist eine Einsicht erobert, ohne die der Streit der
geschichtlichen und theoretischen Richtungen in den Geisteswissen-
schaften nie ganz zu lösen wäre: die Wechselseitigkeit von Theorie
und Geschichte.
Während die Windelband-Rickertische Lehre in der Begriffs-
bildung das gegenseitige Sich-Ausschließen von Theorie und Ge-
schichte lehren muß (nomothetisch und idiographische sind „inkom-
mensurabel“, sind reine Gegensätze)
1
; während zwischen Ricardo
und Roscher, zwischen Carl Menger und Schmoller
2
der Streit unter
der Voraussetzung der Unvereinbarkeit beider Lehrweisen geführt
wurde, führt der Begriff der Ganzheit in jener Fassung, die wir
ihm durch die Unterscheidung von Umgliederung und Ausglie-
derung, von Systematik des Stufenbaues und individueller Glied-
stellung, von Bestimmtheit durch die Systematik des höheren Gan-
zen und Freiheit im Eigenleben gaben, zur Wechselseitigkeit von
Theorie und Geschichte.
/
Dennoch bleibt hier noch eine Frage zu erledigen. Es ist das
Rangverhältnis zwischen Theorie und Geschichte.
5. Das V e r h ä l t n i s v o n T h e o r i e u n d G e s c h i c h t e
k o m m t a u s d e m V e r h ä l t n i s s e v o n A u s g 1 i e d e
r u n g
u n d U m g l i e d e r u n g
Da die Ausgliederung in ihrer Allgemeinheit oder Systematik
die Grundlage der Theorie, die Umgliederung in ihrer zeitlichen
Einmaligkeit (neben jener Einmaligkeit, die schon in der Ausglie-
derung selbst durch die Unwiederholbarkeit der Glieder anzutreffen
ist) die Grundlage der Geschichte bildet, so erhebt sich die Frage des
Verhältnisses zwischen Ausgliederung und Umgliederung. Diese
Frage entscheidet zugleich das Verhältnis zwischen Theorie und
Geschichte.
1
Vgl. Wilhelm Windelband: Präludien. Sammlung von Aufsätzen und Reden
zur Einleitung in die Philosophie (1883), 7. und 8. Auflage, Tübingen 1921,
S. 160.
2
Der sogenannte Methodenstreit in der Volkswirtschaftslehre. Vgl. dazu mein
Buch: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre (1911), 23. Aufl., Leipzig
1933, S. 153 ff. [28. Aufl., Graz 1969, S. 188 ff.].