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mäßigen aufweisen; aber diese Wissenschaften bleiben trotzdem
Systematik. Zu Geschichte werden sie erst dadurch, daß die Ganz-
heit in ihrer Umgliederung, besonders in der Aufeinanderfolge der
Geschlechter, ins Auge gefaßt wird. Sie werden dann zu Erdge-
schichte, Pflanzengeschichte, Tiergeschichte.
Hiermit wenden wir uns zu dem zweiten der oben ausgespro-
chenen Sätze, der die Umgliederung als das eigentlich geschichtliche
Geschehen bezeichnet
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.
Umgliederung der Ganzheit heißt notwendig: daß in ihr unauf-
hörlich Neues geschieht. Der Organismus des Säuglings, des Jüng-
lings, des Mannes, des Greises ist immer dieselbe Ganzheit, aber in
einem immer anderen Stande der Umgliederung. Erst durch den
Stand der Umgliederung ergibt sich der Begriff des Zeitabschnittes
oder des Stadiums. Während die allgemeine (theoretische) Physiolo-
gie, indem sie den Leistungsbau des menschlichen Organismus über-
haupt darstellt, reine Ausgliederungslehre ist, wird der „Vergleich“
des kindlichen, jugendlichen, reifen und gealterten Organismus
zur Lehre von dem Umgliederungsgange. Ebenso wird die syste-
matische Geisteslehre und die systematische Gesellschaftslehre zur
Geistesgeschichte und zur Menschheitsgeschichte. Das heißt aber
nichts weniger als: neben die Ausgliederungslehre oder Theorie
tritt die Umgliederungslehre oder Geschichte. Die G e s c h i c h -
t e i s t d i e L e h r e v o n d e r z e i t l i c h e n U m g l i e d e -
r u n g d e r s y s t e m a t i s c h a u s g e g 1 i e d e r t e n
G a n z -
h e i t .
Das Wesen der Umgliederung ist: Entfaltung der Ganzheit in
der Zeit. Die Entfaltung in der Zeit hat die Eigenschaft, daß sie
die systematische Aus- / gliederung der Ganzheit in ihren Grund-
zügen beibehält, aber in ihren Ausgestaltungen (Konkretionen)
und in ihrer inhaltlichen Erfüllung immer wieder ändert. Der
menschliche Organismus behält vom Säuglings- bis zum Greisen-
alter dieselben Grundzüge der Ausgliederungsordnung, der mensch-
liche Geist dieselben Grundzüge von der Urzeit bis heute, der
Staat, die Wirtschaft, die Sprache dieselben Grundzüge von der
Urzeit bis heute.
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Siehe oben S. 214.