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Die G a n z h e i t h a t i m S y s t e m a t i s c h e n i h r e r
A u s g l i e d e r u n g , w e l c h e s s e l b s t w i e d e r b e -
s t i m m t i s t v o n d e r h ö h e r e n G a t t u n g h e r , d i e
A l l g e m e i n h e i t a n s i c h ; und auf diesem Grunde erst be-
steht auch das Sinnvolle, die Freiheit und die Einmaligkeit. Die Ein-
maligkeit insbesondere ergibt sich aber nur abgeleiteterweise, näm-
lich auf dem Grunde der systematischen Allgemeinheit, sowie auf
dem Grunde des Sinnvollen der Ausgliederung und auf dem Grunde
des verhältnismäßigen Eigenlebens oder der arteigenen Freiheit der
Ganzheit.
/
Es ist daher nicht richtig, was Windelband behauptet: daß Einmaligkeit und
Allgemeinheit wurzellos und unverbunden nebeneinander stünden
1
. W ä r e
d e m s o , s o g ä b e e s n i e m a 1 s e i n e E i n h e i t v o n T h e o r i e
u n d
G e s c h i c h t e , e s g ä b e d a n n a b e r a u c h w e d e r T h e o r i e n o c h
G e s c h i c h t e , d a c s j a s o n n e n k l a r i s t , d a ß b e i d e n i c h t
o h n e e i n a n d e r b e s t e h e n k ö n n e n . Nur wenn gezeigt wird, daß Ein-
maligkeit und Allgemeinheit als zwei Seiten einer und derselben Wirklichkeit, der
Ganzheit, zu begreifen sind, ist die Einheit beider erklärt.
Wir werden auf diesen entscheidenden Punkt wiederholt zurückzukommen
haben.
Hiermit ist jenes Allgemeine gerettet, welches der Geschichts-
begriff braucht, um durch die Einmaligkeit nicht gesprengt zu wer-
den; es ist aber auch jenes Einmalige aufgezeigt, ohne das er nie
möglich wäre, ohne das die Geschichte nie über die Theorie hinaus-
käme.
Dennoch ist jene gleichsam nur statische Einmaligkeit, wie sie in
der eben betrachteten systematischen Ausgliederung enthalten ist,
noch nicht hinreichend zur Geschichtsschreibung: denn in einer bloß
und schlechthin systematisch ausgegliederten Ganzheit findet kein
fortlaufendes Geschehen statt. Der Stockwerkbau von Gattungen
und Arten, wie ihn die Zoologie, Botanik, Mineralogie darstellen,
hat zwar überall Geschichtliches insofern in sich, als das Pferd und
die Eiche verhältnismäßige Einmaligkeit innerhalb des Gattungs-
1
Wilhelm Windelband: Präludien. Sammlung von Aufsätzen und Reden zur
Einleitung in die Philosophie (1883), 7. und 8. Aufl., Tübingen 1921, S. 157:
„Diese beiden Momente des menschlichen Wissens [allgemein und einmalig]
lassen sich nicht auf eine gemeinsame Quelle zurückführen.“ und S. 166: „Das
Gesetz und das Ereignis bleiben als l e t z t e , i n k o m m e n s u r a b l e G r ö -
ß e n unserer Weltvorstellung nebeneinander bestehen.“ (Von mir gesperrt.
Spann).