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auch jede Wirtschaftspolitik als unmöglich verwerfen muß — da-
her das L a i s s e z - f a i r e !
Im Gange jeder Wirtschaft werden notwendig Fehlausgliederun-
gen Vorkommen. Sie werden aber namentlich in der individualisti-
schen Wirtschaftsordnung als ungeheure Massenerkrankungen im
Wirtschaftsorganismus auftreten. Die Fehlausgliederungen sind da
meist von grundsätzlicher Art. Was bedeutet es denn, wenn es
heißt, der Arbeiter erhält zu wenig Lohn, leidet an Unsicherheit des
Daseins? Nichts anderes, als daß die Eingliederung / des Arbeiters
in die Wirtschaft, die die Löhne ausdrücken, eine ungenügende,
unstetige ist; jedoch nicht auf Grund eines Naturgesetzes, sondern
auf Grund ständiger Fehler im Gliederbau der Wirtschaft. Diese
Fehler können geändert werden, wenn die falsche Ausgliederung
rückgängig gemacht wird. Nach universalistischer Auffassung ist es
also nicht nur praktisch möglich, wirksame Sozialpolitik zu treiben
— was ja geschichtlich erwiesen ist — sondern auch theoretisch
erklärt, warum und inwiefern dies möglich ist. Während dem In-
dividualismus Sozialpolitik als unmöglich galt, der theorielosen ge-
schichtlichen Schule nur deren empirische Möglichkeit feststand,
zeigt die universalistische Auffassung auch das „Inwieferne“, näm-
lich die jeweiligen Vorbedingungen im sinnvollen Gliederbau der
Wirtschaft.
Weiterhin ist wesentlich: Sozialpolitik erweist sich nun als ein
V o r g a n g a u f d e r E b e n e d e r W i r t s c h a f t s e l b s t .
Sie kann wirtschaftlich fruchtbar (produktiv) werden, wenn sie rich-
tig ist — sie ist selbst ein Wirtschaftsvorgang, ähnlich wie jede andere
Wirtschaftspolitik auch, allerdings mit der besonderen Aufgabe: die
schwächeren Wirtschafter bei Erfüllung ihrer Verrichtungen ziel-
gültig zu schützen (wie ich das in meinen Schriften wiederholt
begründete)
1
. Soweit es sich darüber hinaus dann noch um Fragen
der Zielgültigkeit selbst handelt — Beispiel: Alkohol, Mode — wird
die Sozialpolitik zur allgemeinen Gesellschaftspolitik, desgleichen,
1
Die Einteilung der Sozialpolitik folgt darum grundsätzlich der Ausgliedrrungs-
ordnung. Doch genügt es auch, der geschichtlichen Entwicklung gemäß, die
Sozialpolitik des Arbeitsvertrages, der Ausbildung der Arbeitskraft, der Familie
und so fort zu unterscheiden. Vgl. mein Buch: Die Haupttheorien der Volks-
wirtschaftslehre (1911), 23. Aufl., Leipzig 1933, S. 155 ff. und 158 [28. Aufl.,
Graz 1969, S. 192—195 und 196].