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Alles in allem genommen liege es nur in der Folgerichtigkeit dieser ganzen
Vorstellungsart anzunehmen, daß es Dinge gebe, in denen die Gottheit vor-
züglich tätig sei, z. B. heilige Orte, Tempelbezirke, heilige Steine. An diese knüp-
fen sich daher auch vorzüglich jene Verbote und Gebotsvorschriften, welche man
unter dem Begriff „tabu" zusammenfaßt.
Zuletzt führt sich auch hier, wie überall in der Magie, alles auf V e r s e n -
k u n g u n d E n t s p r e c h u n g zurück. Je mehr aber jene Urelemente der
besprochenen Vorstellungen, welche in der Weltseele oder mystischen Lichterfah-
rung und den inneren Erfahrungen magischer Übungen liegen, vergröbert und
schließlich materialisiert werden, um so mehr verwandeln sich Mystik und Magie
in leeres äußeres Tun und schließlich in sinnlosen Aberglauben
1
.
IV. Die hohen Götter
A. Die M y t h e n b i l d u n g u n d i h r e G e s e t z e
Die Magie lehrte uns eine Unzahl religiöser Erscheinungen der
niederen Stufe verstehen, wie steht es aber mit den hohen Göttern?
Von den ekstatisch-magischen Zuständen, die wir bisher betrach-
teten (Somnambulismus usw.) führt keiner zu den hohen Göttern.
Um den Weg zu diesen zu finden, müssen wir vielmehr wieder
auf die m y s t i s c h e n Zustände zurückgehen. Diese haben in-
dessen ihrer Natur nach monotheistischen Charakter
2
. Wie kann
dann von ihnen der Übergang zum Polytheismus gefunden wer-
den? Nur durch Verlassen des rein mystischen Pfades, durch Ab-
schwächung des mystischen Erlebens und Übergang von der Mystik
zur Magie, in welchem Übergang aber noch die E i n h e i t des
mystischen Weltempfindens gegenüber der Zersplitterung im ma-
gischen Empfinden erhalten bleibt.
Im mystischen Erleben sind, wie sich zeigte, die magischen Ele-
mente zwar latent enthalten, werden aber nicht oder kaum aktuiert.
Der Mystiker besitzt magische Kräfte, sein Absehen ist jedoch auf
etwas anderes gerichtet, auf die Teilnahme am göttlichen Leben.
Mag er auch gelegentlich seine magischen Kräfte praktisch anwen-
den, Segenswünsche aussprechen, Krankheiten heilen, sein Wesen
ist nicht auf diese Welt gestellt, und darum bleiben die magischen
Elemente in seinem Leben im großen und ganzen in Schwebe,
suspendiert (wie man ja heute noch an den indischen Yogin sehen
kann).
1
Vgl. darüber unten S. 270 ff. (Kultformen).
2
Siehe oben S. 103 f.