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naturalistischen Eierschalen fehlt es in der überlieferten, exoterischen
Lehre freilich nicht).
Nach alldem ist der christliche Erlösungsbegriff sowohl mit dem
Wesen des menschlichen Geistes im Einklang (infolge der geforderten
Selbsttätigkeit), wie er andererseits mit der religiösen Kategorie der
Gottverwandtschaft des Menschen in klarer Übereinstimmung bleibt,
sobald diese Gottverwandtschaft dem empirisch Vorgefundenen Bö-
sen und Unvollkommenen seines irdischen Daseins entgegengestellt
wird.
„Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s
allein; erstirbt es, so bringt es viele Früchte“
1
. — Sinn des Leidens.
/
„So euch nun der Sohn frei machet, so seid ihr recht frei“, erlöst
2
. Dieses
Freimachen, Erlösen zielt auf Geschaffenwerden (objektiv), sofern der Mensch
Schaffen (Freiheit subjektiv) aus Geschaffenwerden (Eingebung, Gnade) ist: „Ich
bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt (in eigener, geistiger Tätigkeit), der
wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“
3
.
„Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen“'
4
.
Weniger auf die äußerlichen Gebote, als auf das durch das Christentum er-
öffnete innere Geistesleben und seine erlösende Kraft ist gesagt: „Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod
nicht sehen ewiglich“
5
. (Erlösung durch die mystische Schau.) Und ebenso: „Wer
mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und
wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“
6
.
Die W i e d e r g e b u r t , Wiederherstellung des Menschen von der Gottent-
fremdung, das ist die Erlösung, welche das mystische Evangelium lehrt: „Das
wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet...
7
„Auf daß alle, die an
mich glauben... das ewige Leben haben“
8
. Alles was von Gott geboren ist,
überwindet die Welt“
9
.
Abermals werden wir auf Eckeharts Lehre von der Notwendig-
keit der Gottesgeburt in der Seele jedes einzelnen zurückgeführt.
Dasselbe lehrte Angelus Silesius in kühnen Worten:
„Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in Dir, Du bleibst noch ewiglich verloren“.
1
Johannes 12, 24,
2
Johannes 8, 36.
3
Johannes 8, 12.
4
Johannes 12, 32,
5
Johannes 8, 36.
6
Johannes 14, 23.
7
Johannes 1, 9.
8
Johannes 3, 16.
9
Johannes 5, 4.