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III. Verfahren
A . V e r f a h r e n a l s W e l t - A n s c h a u u n g
Das diesem Beitrag vorangestellte Wort: „Wie du in die Welt
blickst, so wirst du sie erschauen“, ist zugleich ein grundsätzlicher
Hinweis auf die Art des Verfahrens. Dies wird nirgends so deut-
lich wie durch die Ganzheitslehre. Die Einzeldinge als Glieder eines
Ganzen anzusehen, an das sie ihrem inneren Wesen nach gebunden
sind, bedingt ein völlig anderes wissenschaftliches und philosophi-
sches Verfahren als jenes, welches die Einzeldinge erst hinterher in
eine (demgemäß nur äußerliche) Beziehung zu setzen sucht. Und
die so entscheidende Fragestellung, durch welche man an die Pro-
blematik eines Gegenstandes heranzukommen sucht, ist schon die
Weichenstellung für ein bestimmtes Verfahren. Darum ist es oft ein
signifikantes Wahrzeichen und Wahrheitszeichen für die Fruchtbar-
keit einer Philosophie, ob sie ein ihrem Wesen entsprechendes Ver-
fahren zu entwickeln vermochte oder doch die Möglichkeit zu
einem solchen geschaffen hat. Wie sehr das arteigene Verfahren eine
Probe auf den Wahrheits- und Fruchtbarkeitsgehalt einer Philo-
sophie sein kann, zeigt in hohem Maße die Ganzheitslehre.
1. Dialektik und Teleologie der griechischen Ideenlehre
Der geistesgeschichtliche Weg der Philosophie ist zugleich gekenn-
zeichnet durch die Marksteine des Verfahrens. Die „Entstehung“ der
Philosophie — das heißt: das Heraustreten des Menschengeistes aus
der Welt des Mythos in jene des Logos — läßt mit seinem ersten
Höhepunkt auch ein völlig neues wissenschaftliches Verfahren ent-
stehen. Die S o k r a t i s c h - P l a t o n i s c h e I d e e n l e h r e
fand ihre verfahrensmäßige Entsprechung in dem Suchen nach dem
Wesen der D e f i n i t i o n . An die Stelle des prälogischen Denkens
in Wesenheiten, denen die Einzeldinge magisch zugeordnet waren,
trat das „logische Denken“, die Methode des Zergliederns, Ausein-
anderlegens und Unterscheidens, die D i a l e k t i k . Aus der Ideen-