Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Worauf es mir am meisten ankam, war die Darstellung und Begründung der
Einheitstheorien
1
, die Herausarbeitung des Gesamtaufbaues der menschlichen Gesellschaft
2
und die Klärung des Systems der gesellschaftlichen Wissenschaften
3
, überhaupt die Übersicht,
die Zusammenfassung, das Be- / griffliche und Methodische. Waren durch das Streben nach
Übersicht und Zusammenfassung Wiederholungen schwer zu vermeiden, so trat dadurch
andererseits das begrifflich Schwierige notwendig mehr in den Vordergrund als anderes, weil
es mehr Erörterungen verlangte. Auf diese Weise sind z. B. die Einteilungen und Arten des
Handelns, das allgemeine Wesen der Organisation ausführlicher zur Abhandlung gekommen,
einzelne wichtige Anstaltsformen, wie Familie, Kirche, Staat, dagegen überaus knapp. Gebiete
wie Unehelichkeit, Kriminalität, Sprache, Recht, Politik konnten kaum gestreift oder fast nur
begrifflich behandelt werden. Um diese Ungleichmäßigkeiten wie den Umfang des Buches
nicht noch zu vermehren, habe ich auch auf meinen Lieblingswunsch verzichten müssen, die
Verbindung der Volkswirtschaftslehre mit der Gesellschaftslehre ausführlich darzustellen,
die Fruchtbarkeit einer solchen Verbindung an einzelnen Grundfragen aufzuzeigen. Dies
muß ich mir nun für später Vorbehalten. Daß aber eine innige Beziehung wirklich besteht,
und nicht nur in methodischer Hinsicht, hoffe ich dennoch schon mit dem Wenigen
nachgewiesen zu haben, was ich im Rahmen des vorliegenden „Systems“ darüber sagen
konnte.
Einer besonderen Rechtfertigung bedarf es noch, daß ich der heute fast allein
herrschenden empiristisch-realistischen Behandlung der einzelnen Gebiete der
Gesellschaftslehre — z. B. der Urgeschichte und Ethnologie der Familie, der Sprache, des
Staates, der Religion und so fort — so sehr als möglich aus dem Wege gegangen bin.
Dazu zwang mich der heutige Zustand dieser Forschungen, welche fast nur
entwicklungsgeschichtlich, „psychogenetisch“ orientiert sind, daher hauptsächlich in der
Völkerkunde (auch in der Kinderpsychologie) den Stoff finden, aus dem sie frühere
Entwicklungsstufen und primitivere Zustände rekonstruieren. Fürs erste stehe ich nun
demgegenüber auf dem Standpunkte, daß Eines die entwicklungsgeschichtliche, genetische
Forschung, ein Anderes die beschreibende, zergliedernde und theoretische Gesellschaftslehre
ist. Für die Gesellschaftswissenschaften muß immer das eigene kristallene Fundament der
reinen Begriffe ihrer Gegenstände allein maßgebend bleiben. Gegenwartserfahrung, Statistik,
Beschreibung und in zweiter Linie noch die Geschichte der Kulturvölker bilden daher ihre
wahren empirischen Ausgangspunkte. Was die Familie, der Staat, die Kirche, die Religion, die
Kunst ihrem Wesen nach sind, und welche Funktionen sie in der Gesellschaft haben, darüber
kann uns keine urgeschichtliche Darstellung, nur die eigene Begriffsarbeit Aufklärung
verschaffen.
Zweitens aber muß ich die methodische Richtigkeit der bisherigen Darwinischen, auf der
Völkerkunde fußenden Betrachtungsweise, wie sie namentlich durch
1
Individualismus, Universalismus usw. — siehe drittes Buch.
2
Siehe zweites Buch.
3
Siehe fünftes Buch.