[4/5]
13
wissenschaftliche Erkenntnis beruht auf der Feststellung der ä u ß e r e n
A b f o l g e der Erscheinungen in ihrer Regelmäßigkeit (Beispiel: die
Abfolge der Stadien des freien Falles nach gleichförmiger Beschleuni- /
gung = „Fallgesetz“). Ihre innere Wesenheit bleibt unverstanden. Die
gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem inneren
Mitwissen vom Gegenstande. Sie schöpft aus dem Erlebnis: wir erkennen,
indem wir unseren Gegenstand von innen her verstehen — auf andere
Weise e n t s t e h t uns der Gegenstand der Gesellschaftswissenschaft
überhaupt nicht.
Daher, wenn wir nicht innerlich wüßten und verstünden, was Recht
sei, und etwa bloß das äußerliche Gehaben des Richters, Rechtsanwaltes,
Gesetzgebers usw., vor Augen hätten, es nur wie die Bewegungen einer
Gliederpuppe betrachtend, so könnte das Recht auch niemals Gegenstand
rechtswissenschaftlicher Erkenntnis sein; wenn wir nicht innerlich
wüßten und verstünden, was Wirtschaft sei, und etwa bloß das äußerliche
Gehaben eines Kaufmannes am Fernsprecher vor Augen hätten, es nur wie
die Bewegungen einer Gliederpuppe betrachtend, so könnte die
Wirtschaft niemals Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis
sein; und so geht es fort durch alle Erscheinungen der Gesellschaft wie
Staat, Politik, Krieg, Organisation, Geselligkeit. Erfaßten wir den
Gegenstand nicht innerlich, so g l i c h e d i e G e s e l l s c h a f t
e i n e m P u p p e n t h e a t e r , d a s e i n S t ü c k a u f f ü h r t ,
w e l c h e s w i r n i c h t v e r s t e h e n . Jeder kennt aus dem
Lesebuch her die Parabel von Friedrich Rückert über die Spieler. Zuerst
schildert er ihre wunderlichen äußerlichen Bewegungen, bis es nach
manchem vergeblichen Fragen und Raten schließlich heißt, „was tun sie
denn? — Sie spielen!“ Damit ist der Schlüssel für die früher
unverstandenen, weil mechanisch gesehenen Bewegungen gegeben.
In
jedem
Denken,
ob
gesellschaftswissenschaftlich
oder
physikalisch-naturwissenschaftlich,
sind
zwei
Grundbestandteile
auseinanderzuhalten, das zerlegende, verknüpfende oder diskursive und
die Eingebung oder das einblickende, intuitive Denken.
Das zerlegende Denken nimmt einfach den Stoff auf, der durch
(früheren) E i n b l i c k in das Wesen der Sache schon begriffen,
Verfahrens. Heute ist diese Frage in Fluß gekommen. Dem Leser von heute ist der
Unterschied des naturwissenschaftlichen (des ursächlich-mechanischen) und des
geisteswissenschaftlichen (ganzheitlichen) Verfahrens schon geläufiger.