Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1410 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1410 / 9133 Next Page
Page Background

12

[3/4]

tionsformen, in Wirtschaft und Technik die mannigfachsten Mittel

schafft.

Es sind aber nicht nur der Bau und das Gefüge, was uns beim Anblick

dieser Welt in Staunen versetzt. Noch mehr greift uns das ans Herz, daß

wir selbst es sind, die sich mit ihrem Wesen und Wollen / in jene Vielfalt

gleichsam hineingeschaffen finden. Die Natur ist uns fremd und stumm.

Die menschliche Gesellschaft aber liegt als die größere Welt unseres

eigenen Innern offen vor uns da. Der Mensch in die gesellschaftliche Welt

im kleinen, ist der Staat im kleinen. Daß die Quecksilbersäule bei

Erwärmung steigt, vermögen wir in seiner inneren Notwendigkeit nicht

nachzufühlen, sie könnte ebensogut fallen: aber kein Vorgang in der

Gesellschaft bleibt uns in seiner Innerlichkeit verschlossen.

Daraus folgt auch das, was als die s i t t l i c h e N a t u r aller

gesellschaftlichen Erscheinungen zu bezeichnen ist. Sittlich im weitesten

Sinne ist ja alles, was, ob in guter oder schlimmer Art, unser Wollen und

Handeln angeht. Unser gesamtes Wollen und Handeln erwirken wir aber

nur in der Gesellschaft.

Hier ist der Punkt, wo sich die gesellschaftlichen Wissenschaften von

allen übrigen Wissenschaften scheiden; die Beschäftigung mit der

Gesellschaft als dem Reiche unseres größeren Ich wird, ohne

Überschwang darf es gesagt werden, zur Pflicht. Der Mensch soll nicht als

Fremdling herumgehen in seinem eigenen Reiche.

Wer heute nicht weiß, daß der Blitz ein elektrischer Funke ist, wer die

wichtigsten Grundtatsachen der Physik, Chemie, Biologie nicht kennt,

den nennt man nicht gebildet. Dennoch leuchtet ein, daß es ein geringerer

Verlust ist, von diesen Dingen nichts zu wissen, als von Staat und

Gesellschaft, in denen die Wurzeln unseres Daseins beschlossen liegen.

Nicht ein äußerer Gegenstand ist es, wie die Natur, sondern ein innerer,

den wir verstehend nachbilden können. Die Gesellschaft gleicht einem

Wunderspiegel: wir w e r d e n erst, indem wir hineinblicken, er erstrahlt

auferweckend unsere eigene Wesenheit wider, und wir erkennen darin

eine sonst verschleierte geistige Heimat.

Dieser besonderen Würde der gesellschaftlichen Wissenschaft

entspricht auch eine Besonderheit ihres V e r f a h r e n s

1

. Die natur

1

Als der Verfasser im Jahre 1913 die erste Auflage dieses Buches schrieb, war die

Gesellschaftslehre noch gänzlich im Banne des naturwissenschaftlichen