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schon gegeben ist. Es ordnet ihn und führt die Zusammenhänge der
Begriffe untereinander durch, weshalb das Urteil, die Verknüpfung der
Begriffe und selbst der Schluß, sofern er nur in der Festhaltung der
Einerleiheit oder Identität der Schlußglieder besteht, die Formen sind, in
denen das diskursive Denken arbeitet.
Anders das erlebende Denken der Eingebung. Hierfür zunächst ein
Beispiel. Der Sprachforscher Max Müller sagte von Friedrich Schlegel,
welcher bekanntlich den Begriff und die Einheit der indo- germa- /
nischen Sprachen gefunden hat: „Es gehörte eine Art von poetischer
Vision dazu, mit einem einzigen Blicke die Sprachen Indiens, Persiens,
Griechenlands, Italiens und Deutschlands zu umfassen und sie mit dem
einfachen Namen indogermanische Sprachen fest aneinander zu knüpfen.
Dies war Schlegels Verdienst, und er hat damit in der Kulturgeschichte
eine neue Welt entdeckt.“
1
„Vision“ und „einziger Blick“ sagt hier Max
Müller, und bezeichnet damit treffend das Wesen des einblickenden,
erlebenden Denkens. — Ein anderes Beispiel bietet Robert Mayer, der
Begründer der Energielehre, welchem, indem er dampfende Pferde einen
Wagen ziehen sieht, die Gleichheit dieses Vorganges mit der Verbrennung
in der Dampfmaschine innerlich aufblitzt, und der darauf dann — durch
syllogistisches oder verknüpfendes Denken — das „Prinzip der Erhaltung
der Energie“ gründet
2
.
Von solchen Beispielen ist die Geschichte der Wissenschaft voll, weil
jeder wissenschaftliche Fortschritt nur auf erlebendem Denken beruht,
während die Stoffanhäufung der „Induktion“ und die Verarbeitung des
darstellenden und auseinanderlegenden Denkens bloße Vorstufen und
Nachstufen jener schöpferischen Tat des Denkens sind.
„Eingebung“, „Intuition“ ist nicht eine besonders scharfe Vorstellung,
sondern sie ist miterlebende Einsicht in das Wesen der Sache, die unsern
Geist blitzartig überfällt und Klarheit in die Dinge bringt.
1
Angeführt bei Otto Willmann: Empirische Psychologie, 3. Aufl., Freiburg i. B. 1913, S.
117.
2
Vgl. Gustav von Rümelin: Über Robert Mayer, in: Reden und Aufsätze, Neue Folge,
Tübingen 1881, S. 382. Der Anlaß zur Aufstellung seiner Lehre war bekanntlich ein anderer.
Bei Aderlässen auf Java erkannte er die auffallend hellrote Färbung des venösen Blutes als
Folge einer geringen Verbrennung.