[6/7]
15
Das i n t u i t i v e
D e n k e n
h a t
a b e r
i n
d e r
G e s e l l s c h a f t s w i s s e n s c h a f t
e i n e
a n d e r e
B e d e u t u n g a l s i n d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t . Es gibt
nämlich zweierlei erlebende Denkakte:
1.
jene, welche das Gleiche unter dem Verschiedenen herausfinden,
und
2.
jene, welche überdies in dem als gleich Erschauten das Wesen der
S a c h e i n n e r l i c h v e r s t e h e n d n a c h s c h ö p f e n .
Wenn Robert Mayer Verbrennung und Energievorgang bei Pferd und
Dampfmaschine als gleich erkennt, so ist nur die Gleichheit, die
E i n e r l e i h e i t dieser verschiedensten Äußerungen erkannt; aber das
Innere des Wesens ist noch nicht aufgeschlossen. Was Feuer und Energie
ist, bleibt uns als körperlicher Vorgang immer fremd und wird daher nach
bloß äußerer Aufeinanderfolge, das ist mechanisch-ursächlich-quantita- /
tiv bestimmt. — Was dagegen in der Gesellschaftswissenschaft im
erlebenden Denken geleistet wird, ist das a u f s c h l i e ß e n d e
V e r s t e h e n d e s G e g e n s t a n d e s s e l b s t . Wer in einen
Gerichtssaal tritt, dort Kläger, Anwalt und Richter am Werke sieht und
erkennt: „das ist eine Gerichtsverhandlung“, der hat das innere Wesen von
Klage, Recht und Rechtsprechung verstanden. Wer Leute sieht, die sich so
benehmen, wie Rückert schreibt, und sagt — ah, das sind Spieler!, der hat
das innere Wesen dieses Vorganges aufgeschlossen, d a h e r n i c h t
m e c h a n i s c h e U r s ä c h l i c h k e i t , s o n d e r n i n n e r e r
S i n n z u s a m m e n h a n g , das ist Ganzheitszusammenhang, das
Verfahren bestimmt! Wir nennen diese Wesens-Intuition das
aufschließende Erlebnis und Verstehen oder die mitempfindende,
mitfühlende Erleuchtung oder Divination.
Hiermit haben wir erst ganz den Unterschied zwischen
Gesellschaftswissenschaft und Naturwissenschaft erfaßt, welcher uns über
Wesen und Würde der gesellschaftlichen Wissenschaften den letzten
Aufschluß gibt. — Das aufschließende Wesensverständnis bleibt der
Naturwissenschaft ewig fremd. Warum bei steigender Temperatur die
Quecksilbersäule steigt, warum der Stein zur Erde fällt, das kann man nie
m i t e m p f i n d e n , nie innerlich verstehen. Die Naturwissenschaft
kann im Fallgesetz die Aufeinanderfolge der Fallbewegungen zahlenmäßig
genau angeben, aber im Vergleich mit der