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E r s t e r A b s c h n i t t

Das Wesen der Gesellschaft

§ l.Was ist Gesellschaft?

Was ist Gesellschaft? Das ist die Frage, die am Anfang jeder ge-

sellschaftswissenschaftlichen Erörterung steht, die Grund- und

Schicksalsfrage aller politischen und sozialen Wissenschaft. Zunächst

ist diese Frage in rein formalem Sinne zu stellen. Es ergeben sich dar-

auf zwei mögliche Grundantworten: entweder die Gesellschaft ist

eine bloße Zusammensetzung aus Einzelnen (Individuen), die für sich

als selbständige, eigene, autarke gedacht werden; oder sie ist eine

Ganzheit, deren Teile nicht eigentlich selbständig, sondern gewisser-

maßen nur Organe sind. Wir betrachten jede Antwort für sich.

a.

Im ersten Falle gleicht die Gesellschaft in ihrem Wesen einem

Konglomerat oder einem Steinhaufen. Beide bieten nur scheinbar

den Anblick eines echten Kollektivums (einer Ganzheit), in Wahr-

heit sind sie eine bloße Zusammengesetztheit, eine bloße Summie-

rung einzelner Dinge, deren wahre, tragende Wirklichkeit in den

einzelnen Steinen liegt. Diese Zusammensetzung ist daher notwen-

dig auch amorph. Ob der Steinhaufen diese oder jene „Gestalt“ hat,

ändert nichts an seiner Natur.

b.

Die Gesellschaft ist als eigene Ganzheit zu denken, deren Be-

standteile nicht selbstherrlich, nicht selbstgenugsam bestehen, son-

dern nur als notwendige Teile der Ganzheit ihr Wesen besitzen.

Hierfür diene als Beispiel der Organismus. Die Hand, das Herz, die

Zelle, sie können nicht aus der Ganzheit (dem Organismus) heraus-

genommen werden, wie aus dem Steinhaufen die einzelnen Steine.

Die Hand lebt zwar auch gewissermaßen ein eigenes Sonderleben,

aber nur kraft der Rückstrahlungen aus allen anderen Lebensherden

des Körpers, kraft des Lebensfeuers, das in der Ganzheit beschlossen

liegt. Nirgends wohnt hier die Lebenskraft im Einzelnen, sondern

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