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[12]

gen anzusehen. Die Menschen treiben ihre Wirtschaft durch Ar-

beitsteilung, überall herrsche gegenseitiges Sichunterstützen und

-helfen. — Aber dieser Einwand ist nicht stichhältig. Er geht nur

auf das Äußerliche, das Nothafte (Utilitarische), nur auf das, was

der Mensch als körperlich-sinnliches Wesen ist, also auf Nahrung,

Kleidung, Wirtschaft, Technik, nicht jedoch auf die geistige Wesen-

heit; auf diese allein aber kommt es an! Der Individualist darf sich

mit Recht auf die rein geistige Selbstgenugsamkeit zurückziehen.

Machen wir uns den Begriff des geistig selbstgenugsamen Men-

schen an Beispielen klar. Das erste, bekannteste ist

a.

Der Mensch im Urzustande, von dem das neuere „Naturrecht“

spricht. Mit einer seltenen Folgerichtigkeit hat der Engländer

H o b b e s den Urzustand so gedacht, daß er ein Krieg aller gegen

alle sei („bellum omnium contra omnes“), etwa wie bei Raubtieren

(oder vielmehr weit schlimmer als bei ihnen, da sich die Angehöri-

gen derselben Gattung denn doch nicht gegenseitig auffressen!).

Nach der Säugung schweift das Tier einsam umher — daher

Nietzsche von einer „einsam schweifenden Bestie“ spricht. Wir sollen

also allein stehende Menschen denken, die sowohl im „Kriege aller

gegen alle“ als auch in der „Furcht aller vor allen“ leben — ein

sehr unpraktischer Zustand, der diese Leute nicht zur Ruhe kom-

men läßt. Das bestimmt sie, zu einem „Urvertrag“ zusammenzu-

treten; sie verbannen den Kampf, gewährleisten einander Sicherheit

und Eigentum, helfen einander wirtschaftlich, soweit es ihnen paßt

und ziehen sich nur geistig auf sich selbst zurück. Das heißt: Gesell-

schaft und Wirtschaft werden als Gebäude gegenseitiger Hilfeleistun-

gen und gegenseitigen Schutzes aufgerichtet, aber geistig bleibt jeder

Einzelne, was er ist: Grundlage seines Lebens ist nach wie vor das

geistige Sich-selbst-Genügen. Der Staat ist nur ein Schutzverein, die

Volkswirtschaft ein äußerlicher Hilfentausch, der im Bereiche der

Nützlichkeit (Utilität) verharrt; die geistige Selbstherrlichkeit, das

geistig Auf-sich-selbst-gestellt-Sein bleibt unangetastet.

b.

Diese naturrechtliche Denkweise ist in der Tat das letzte Wort

des Individualismus. Man kann aber das Innerliche an dieser Art

die Gesellschaft zu denken, noch weit lebhafter und bedeutender

empfinden. In der Mythologie der Griechen könnte man den auf

sich selbst gestellten, aus sich allein alle Kraft schöpfenden Menschen

als den Herakles, in der Mythologie der Germanen als den Gott