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zeltum. Der ganze Schwerpunkt des Individualismus liegt in dem
Begriff des Einzelnen, der ja hier die einzige Wirklichkeit in der Ge-
sellschaft ist; liegt in der Frage, wie der Einzelne zu denken sei. Das
wird freilich von Leuten, welche Fragestellungen nicht zu Ende den-
ken können, geleugnet; aber sie leugnen vergeblich, wie aus dem
Folgenden einleuchten wird.
Jeder folgerechte Individualismus muß schließlich bei der Behaup-
tung landen, der Einzelne, als geistiges Wesen gesehen, sei geistig sich
selbst genügend, autark. Der geistig frei sich erzeugende, geistig sich
selbst erschaffende Einzelne ist notwendig der letzte Grundgedanke
jedes Individualismus. Keine individualistische Lehre kann diesem
Gedanken entrinnen, jeder liegt er, sei es heimlich oder offen, zu-
grunde. Wir nennen diesen geistig sich selbst genügenden, auf sich
selbst gestellten (autarken) Einzelnen das a b s o l u t e I n d i v i -
d u u m . Bevor wir von hier weitergehen, müssen wir jedoch ein
Wort einschalten über das Verhältnis dieser geistigen Selbstgenug-
samkeit (nicht „Genügsamkeit“, denn sich selbst genug sein will
hier nicht in dem Sinne von genügsam sein verstanden werden) zum
Begriff der „Autonomie“. Jeder kennt die sittliche Autonomie im
Kantischen Sinne. („Du kannst, denn du sollst.“) Diese Autonomie,
diese Selbstbestimmung oder Willensfreiheit des Geistes ist aber
nicht einerlei mit Sichselbstgenugsein, mit Autarkie. Autonomie be-
zeichnet, genau genommen, nur die ichhafte Form des Geistes und
der geistigen Freiheit überhaupt. Sie sagt: Ich selbst gebe mir das
sittliche Gesetz; nur ich kann denken, kein anderer kann für mich denken.
Jede Denksetzung hat daher notwendig die ichhafte, das
heißt selbstgesetzte Form; anders kann ein Gedanke nicht in die
Welt gesetzt werden. A b e r d i e A u t a r k i e s a g t m e h r :
Nicht nur die Form der „Autonomie“, sondern auch die Substanz,
der Gehalt des Geistigen ist mein. Hierfür diene der Erfinder als
Beispiel; bei ihm scheint es klar, daß seine Gedanken nicht nur for-
mell, sondern auch inhaltlich von ihm selbst gedacht, aus ihm selbst
herausgeholt sind.
Nun entgegnet man dem Gedanken der Selbstgenugsamkeit etwa:
Der Mensch sei sich selbst nicht genug, z. B. weil er als Säugling nicht
ohne Hilfe/der Mutter leben könne; weil er ernährt, unterrichtet,
angeleitet werden müsse. Und weiter: Unter den Erwachsenen sei
die Gesellschaft geradezu als ein Inbegriff gegenseitiger Hilfeleistun-