[15/16]
25
Ist, von dieser Seite her gesehen, das Verhältnis des Einzelnen
zur Gesellschaft nur ein nothaftes, nützliches, das in der Austausch-
rechnung der Wirtschaft seinen reinsten Ausdruck findet; so ist auf
der anderen Seite auch für den Individualisten nicht zu leugnen,
daß es „Sympathiegefühle" gibt, Liebe, Haß, Mitleid, Mitfreude,
die unser Verhältnis zu den anderen Menschen auf anderer Grund-
lage denn auf jener der Nützlichkeit bestimmen. Diese „Sympathie-
gefühle“ sind aber doch wieder unmöglich ein Inbegriff von Sitt-
lichkeit, sie sind mehr zufällige psychologische Tatsachen, das heißt
Tatsachen ohne innere Notwendigkeit. Ob Liebe oder Haß, Mitleid
oder Schadenfreude sein Verhalten leite, das liegt für den sich
selbst bestimmenden Einzelnen / ganz in seinem Befinden! Diese
Gefühle sind, ich wiederhole es, nicht Inbegriff von Sittlichkeit, son-
dern von Subjektivität, freier Billigung, Zufall. — Man begreife
nun die Ablehnung der Moral bei den entschiedenen Individualisten,
wie Nietzsche und Stirner! Das Verhältnis der freien Willkür, nicht
das der allgemeinen Verbindlichkeit, ist es, das für sie den Einzelnen
an das „Ganze" bindet. Oder endlich: Dieses Psychologische (Empi-
risch-Zufällige) kann auch als mehr Triebhaftes, Naturhaftes ge-
dacht werden, das eben wieder aus der Sittlichkeit, die eine rein gei-
stige, innergesetzliche, notwendige Verbindlichkeit in sich schließt,
herausfällt und willkürlich, dunkel, chaotisch wird. Nur Nutzen
und Trieb binden den Einzelnen an den andern. Echte Sittlichkeit
gibt es für den Individualisten nur im Bereiche des eigenen Geistes.
§ 5. Die Arten des Individualismus
Ist auch die letzte begriffliche Grundlage jeder Einzelheitslehre
der absolute Einzelne, so gibt es dennoch verschiedene Möglichkei-
ten, aus diesem absoluten Einzelnen Folgerungen für den Aufbau
der Gesellschaft zu ziehen. Und zwar ergeben sich zuletzt drei
Grundformen der Einzelheitslehre: der Anarchismus, der Machia-
vellismus und die Vertragstheorie oder das Naturrecht.
I.
Der Anarchismus
Als Vertreter wähle ich hier Max Stirner, dessen Hauptwerk
schon im Namen den Grundgedanken klar ausspricht: „Der Einzige