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halte“ (der Zwecksetzungen)! Da aber Wechselwirkung gar nichts

anderes heißt als gegenseitige Abhängigkeit mehrerer Größen, so ist diese

ihre Bestimmung als „Form“ von „Inhalten“ in keiner Weise ihrem eigenen

Begriffe entnommen, durchaus willkürlich. V i e l m e h r i s t h i e r

e i n a l s „ g e s e l l s c h a f t l i c h “ B e z e i c h e n b a r e s u n d

z u B e z e i c h n e n d e s h y p o t h e t i s c h e i n g e f ü h r t !

Indem aber nun „Gesellschaftliches als solches“ auf solche Weise zur

„ F o r m der Vergesellschaftung als solcher“ wird, erlangt dadurch die

Soziologie ein eigentümliches Doppelantlitz. Sie ist einerseits als die

allgemeinste prinzipielle Sozialwissenschaft

1

, andererseits doch als soziale

E i n z e l Wissenschaft

1 1 2

zu betrachten.

Demnach kann S i m m e l s Ableitungsversuch des Problems der

Soziologie aus dem Begriffe der Wechselbeziehung in zweierlei Weise

gedeutet werden.

1. Wechselwirkung psychischer Einheiten heißt „Form“ nur im Sinne

eines Spezialfalles von gesellschaftlichen I n h a l t e n , das heißt von

A r t e n gesellschaftlicher Erscheinungen, die anderen Arten derselben

prinzipiell koordiniert sind, wie Wirtschaft neben Recht usw. „Form“ und

Inhalt sind dann nur ganz bildliche Gegenüberstellungen, keine wirklichen

Gegensätze, die Formtatsache ist vielmehr eine bestimmte Art, ein

Spezialfall von Inhaltstatsachen. Im Falle dieser Auffassung ist aber der

Begriff der psychischen Wechselbeziehung in keiner Weise

G e s e l l s c h a f t s b e g r i f f , sondern er bezeichnet nur einen

bestimmten Teilinhalt der gesellschaftlichen Erscheinungen. S i m m e l

hätte dann (das heißt im Falle dieser Auffassung) seine Definition der

Soziologie zwar immerhin aus dem Begriffe der psychischen

Wechselbeziehung abgeleitet, aber eben nicht aus einem

G e s e l l s c h a f t s begriffe, sondern einem gesell-

1

Zum Beispiel erklärt S i m m e l , daß „eine eigentliche Soziologie nur das spezifisch

Gesellschaftliche“ behandelt; ihr Gegenstand seien „die eigentlichen gesellschaftlichen Kräfte

und Elemente als solche" (nämlich die — Sozialisierungs- f o r m e n , die doch andererseits

wieder ein Sondergebiet sozialer Einzelforschung darstellen). — Georg Simmel: Das Problem

der Soziologie, a. a. O., S. 272 und 273.

2

So sagt S i m m e l z. B.: daß seine Wesensbestimmung der Soziologie „die Funktionen

der Vergesellschaftung und ihre ... Formen ... als S o n d e r gebiet herauslöst“. — Georg

Simmel: Das Problem der Soziologie, a. a. O., S. 277 (im Original nicht gesperrt); vgl. übrigens

in beider Hinsicht die obige Darstellung.