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l ö s u n g “ d e r Z w e c k e u n d B e s t r e b u n g e n — worunter die
Formulierung, Vergegenständlichung zu äußeren Regeln gemeint ist — b l e i b t v o n
d e n g e g e b e n e n T ä t i g k e i t e n g a r n i c h t s m e h r ü b r i g ; es „verbleibt“
kein psychisches Leben und Wirken aufeinander, denn damit würde dieses in sich nicht nur
sinnlos, inhaltlos, sondern auch sachlich unmöglich. Es bleiben dann eben keine
Bewußtseinserscheinungen, Handlungen der Menschen mehr übrig. Wie von einer
individuellen Bestrebung nichts mehr erübrigt nach einer gedachten „Ablösung“ des
Zweckes, wie diese dadurch als psychisches Geschehen zur Denkunmöglichkeit wird, so auch
das aus solchen zusammengesetzte soziale „psychische Wirken“ aufeinander. Hierin hat
vielmehr S t a m m l e r recht. D a v o n , d a ß a l l e s s o z i a l e G e s c h e h e n
M i t t e l f ü r Z w e c k e d a r s t e l l t , d ü r f e n w i r a n a l y t i s c h n i e m a l s
a b s e h e n. Es fragt sich nur, wie diese Tatbestände wissenschaftlich zu erfassen sind. Die
„Ablösung“ der bestimmenden Zwecke ist ein unvollziehbarer Gedanke. Daher kann niemals
in einem solchen Sinne, wie K i s t i a k o -w s k i es tut, zwischen sozialer Norm-
Wissenschaft (Staats- und Rechtswissenschaft; Ethik, Ästhetik und Logik) und sozialer Seins-
Wissenschaft unterschieden werden. K i s t i a k o w s k i meint, daß sich die Normen als
selbständige Produkte menschlicher Zwecksetzungen ergeben, als letzte Glieder einer
sozialpsychischen Kausalreihe, welche aber vermöge ihrer veränderten teleologischen Natur
selbst nicht mehr sozialpsychisch sind, und dadurch diese Kausalreihe u n t e r b r e c h e n .
Die unabweisbare Konsequenz wäre aber, alle sozialen Tatsachen, die uns als
vergegenständlichte, objektivierte entgegentreten, da sie ja alle Endprodukte eines
sozialpsychischen Prozesses sein müssen, als „abzulösende“ Normen dem „übrigbleibenden“
gegenüberzustellen. Die Preistatsache z. B. ist ein solches letztes Glied eines
sozialpsychischen Prozesses. Aber die verlangte Gegenüberstellung wird hier sofort
gegenstandslos und unvollziehbar. Der Grund dieses Widerspruches liegt darin, daß das
Moment der Normierung oder Regelung bereits in jedem Quäntchen psychischen Prozesses,
in jeder bloßen Gültigkeit, das heißt Wirksamkeit eines Motives im Individuum vorhanden
ist; es ist das Moment des Zwanges, des Herrschens, des Siegens. Indem ein bestimmtes Motiv
in uns b e s t i m m e n d wird, verhält es sich den anderen Motiven gegenüber als Norm.
Wird eine solche „Norm“ (das heißt ein Imperativ ausschließlich als solcher, in seiner
spezifischen Funktion gedacht) von außen her gesetzt, so ist der Prozeß gleichfalls kein
anderer, als der eines Wirksam-Wer dens, Bestimmend-Werdens eines Motives. Diese
„teleologische Natur“ solcher „letzter Glieder“ kann also die sozialpsychische Kausalreihe aus
dem Grunde nicht unterbrechen, w e i l s i e i h r a u f d e r g a n z e n L i n i e
s c h o n a n h a f t e t , ihr von je wesentlich ist; sie kommt nicht erst an einem bestimmten
Punkte, wie aus den Wolken geschneit, zum Durchbruche. Was an jeder individual- und
sozialpsychischen Tatsache bereits ihrem Begriffe nach vorhanden sein muß, das
zweckstrebende, regelnd-funktionelle Moment, kann daher von ihr niemals abgelöst gedacht
werden, weil das ihrem materiellen Begriffe nach unmöglich ist, da sonst gar nichts mehr
übrig bliebe.
Damit ist das Entscheidende an K i s t i a k o w s k i s Argumentation getroffen. Seine
weitere Ausführung des Verhältnisses von Regel und sozialpsychischem, das ist im engeren
Sinne gesellschaftlichem Prozesse müssen wir hier übergehen
1
wie manches andere. Welchen
Platz z. B. die Wissenschaft der Wirt
1
Vgl. Theodor Kistiakowski: Gesellschaft und Einzelwesen, a. a. O., insbesondere
Kapitel VI.