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lila). S i m m e l s Lösung des gesellschaftsbegrifflichen Problems ist

aber — und das muß in anderer Hinsicht sogar zu seiner E n t l a s t u n g

hervorgehoben werden—n e g a t i v in dem Sinne, daß die Existenz eines

selbständig beschreibbaren gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges

oder Kollektivums geleugnet wird (weshalb z. B. unter anderem keine der

beiden obigen prinzipiellen Auffassungen von seiner Begriffsbestimmung

der Soziologie ganz zutreffend sein kann). Gesellschaft gilt ihm mehr im

Sinne eines Sammelnamens

1

.

Jeder negativen Lösung des Problems haftet als solcher bereits ein

notwendiger Widerspruch an: wer das P r o b l e m des selbständig

bezeichenbarenWesens eines Gesellschaftlichen als solchen bearbeitet und

a n e r k e n n t — und das geschieht bereits, indem die das Problem

setzenden Tatsachen (des Übersichselbsthinausstre bens der sozialen

Einzelwissenschaften) als Versuch zur Zusammenfassung zu innerer

Einheit gedeutet werden — der k a n n e s s c h o n n i c h t m e h r

n e g a t i v l ö s e n . Es gibt hier ähnlich wie in der Erkenntnistheorie

keinen Skeptizismus. Wer die Frage nach der Wahrheit überhaupt stellt,

darf sie nie mehr skeptizistisch beantworten. Gleichwie der Satz „alle

Wahrheit ist nur relativ“ seine eigene Gültigkeit aufhebt, indem er sich

selbst zufolge unwahr ist, so auch hier: wer Inhalte als „gesellschaftliche“

zusammenfaßt und an ihnen das zu bestimmen sucht, was sie eigentlich zu

ges e l l s c h a f t l i c h e n als solchen macht, wer mit anderen Worten

ein Gesellschaftliches als irgendwie Einheitliches, Ganzes auf die Eigenart

des spezifischen Gesamtzusammenhanges hin untersucht, erkennt es eben

damit in seiner selbständigen Beschreibbarkeit bereits an, und er würde

daher in der Ablehnung s e i n e e i g e n e P r ä m i s s e leugnen. Im

Falle irgend welcher Anerkennung der Gültigkeit des Problems suchen wir

damit nämlich notwendig schon

1

„.. . Gesellschaft ist nicht eine absolute Einheit, die erst da sein müßte, damit alle die

einzelnen Beziehungen ihrer Mitglieder: Uber- und Unterordnung, Kohäsion,

Nachahmungen, Arbeitsteilung, Tausch . .. und viele andere in ihr als dem Träger oder

Rahmen entstünden. Sondern Gesellschaft ist nichts als die Zusammenfassung oder der

alleinige Name für die Gesamtheit dieser speziellen Wechselbeziehungen.“ (Georg Simmel:

Philosophie des Geldes, Leipzig 1900, S. 144 f.; vgl. ferner: Über soziale Differenzierung, in:

Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, herausgegeben von Gustav Schmoller, Bd

10, Leipzig 1890, Kapitel I passim.)