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den. Natorp und Stammler bieten hierfür schon deutliche Beispiele.
Wie sich für Stammler das Objekt der Sozialwissenschaft gliedert, und wie
diese selbst in besondere Disziplinen auseinanderfällt — das hängt ganz
von seinem (formalen) Begriffe der Gesellschaft ab. — Nach meiner
eigenen Auffassung, die ich hier nur im Grundgedanken kurz begründen
kann
1
, ist es das, was ich die f u n k t i o n e l l e N a t u r der
gesellschaftlichen Erscheinungen nennen möchte, ihre Eigenschaft, ein
S y s t e m
f u n k t i o n e l l
i n e i n a n d e r g r e i f e n d e r
K o m p o n e n t e n darzustellen, die ihr spezifisches Charakteristikum
bildet. Was damit gemeint ist, wird vielleicht der Vergleich des
gesellschaftlichen Organismus mit einer Maschine veranschaulichen.
Eine Maschine läßt sich betrachten: zunächst schlechthin als eine
Mehrheit wirksamer Hebel, Schrauben, Keile und dergleichen, also
allgemein-p h y s i k a l i s c h nach den Gesichtspunkten der Mechanik.
Die Begriffe, die hier von den Bestandteilen: Hebel, Schrauben und
dergleichen gebildet werden, sind p h y s i k a l i s c h e Begriffe von
mechanischen Gebilden und deren generellenWirksamkeiten schlechthin;
sie sehen von den k o n k r e t e n Wirkungen und Zusammenhängen
völlig ab. Wir nennen diese Begriffe die Wesensbegriffe der Bestandteile.
— Die Maschine läßt sich aber auch noch unter einem anderen
Gesichtspunkte betrachten, nämlich als System ineinandergreifender
Organe, das einen bestimmten Zweck zu erfüllen hat, als (kausales) System
von M i t t e l n für einen bestimmten Zweck. In d i e s e r H i n s i c h t
w e r d e n d i e H e b e l u n d S c h r a u b e n n a c h i h r e r
B e d e u t u n g f ü r d e n p r o d u z i e r t e n E f f e k t (den Zweck)
b e s c h r i e b e n , das heißt nach ihrem A n t e i l im Zusammenwirken
der Kräfte, nach ihrer L e i s t u n g im Ganzen des Systems, nach ihrer
Funktion. Wir nennen diese Begriffe die F u n k t i o n s b e g r i f f e der
Bestandteile. Der Begriff der Funktion eines Maschinenbestandteiles ist,
wie ersichtlich, ein ganz anderer als der physikalisch-mechanische
1
Vgl. meine Abhandlung: Zur Logik der sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung, in:
Festgabe für Friedrich Julius Neumann, Tübingen 1905; und meine Schrift: Der logische
Aufbau der Nationalökonomie und ihr Verhältnis zur Psychologie und zu den
Naturwissenschaften, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd 64, Tübingen
1908. — Auch jede Auseinandersetzung mit anderen Autoren, insbesondere von Gottl, ist
hier unmöglich.