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Hiemit ist auch die Lebensfrage jedes Universalismus gestellt:

W i r d d e r E i n z e l n e i n s e i n e r W ü r d e d u r c h d e n

V o r r a n g d e r G a n z h e i t v e r l e t z t ? , wird er unterdrückt,

herabgesetzt oder gar entwertet? Diese Frage ist zu verneinen. Denn

das Eigenleben (Vita propria), die urtümliche und unvernichtbare

Persönlichkeit, wird dem Einzelnen durch den Begriff der Glied-

haftigkeit nicht angetastet, sie wird ihm im Gegenteile ganz allein

durch diesen Begriff und durch die ganzheitliche Auffassung über-

haupt gesichert, gewährleistet und erhöht. Durch die Gliedhaftig-

keit im religiösen Leben, wie / sie der Begriff des Corpus Christi

mysticum verlangt und erklärt, wird der Geist des Einzelnen so tief

vom religiösen Leben erfüllt, daß man sagen muß, der Einzelne wird

in dieser Geistigkeit, also in diesem seinem Innen- und Eigenleben,

in seiner Persönlichkeit erst gebildet — das geschieht aber nur in

Gegenseitigkeit, nur in Gezweiung. Denn nicht ein Nebeneinander

einzelner, individueller, in sich beruhender und angeblich aus sich

selbst heraus geschaffener Religiosität bestimmt die Religion der Ge-

meinde und begründet durch Gezweiung die religiöse Gliedschaft

der Einzelnen. Nicht die Einzelnen sind es, die z u e r s t in sich

selbst Religiosität erzeugen, d a n n zu einem Vertragsgebilde, der

Religionsgemeinde, zusammentreten, d a n n über die Angelegenhei-

ten dieser Gemeinde abstimmen usw. usw. — wie es der Indi-

vidualismus träumt; sondern dem Einzelnen ist immer schon das

Ganze vorgegeben, nicht nur geschichtlich, sondern auch begrifflich,

und nur durch Gezweiung erwirkt er sich seine eigene geistige Wirk-

lichkeit, die allerdings auf der unwiederholbaren Potenz seiner urei-

gensten Persönlichkeit beruht. Darum geht jede idealistische Gesell-

schaftslehre, z. B. auch die Thomistische Gesellschaftslehre darauf aus,

überall das Objektive, Uberindividuelle in den Vordergrund zu

stellen. So wenn sie lehrte, daß das Gute per se und nicht ex institu-

tione gut ist, die menschliche Gemeinschaft, der Staat, daher ein Aus-

gewirktes, kein Gemachtes — also gegen das neuere Naturrecht ge-

kehrt: kein Vertrag Einzelner — ist.

Es ist indessen nicht der Zweck der vorliegenden Zeilen, die

grundsätzlichen Fragen weiter zu verfolgen. Ihr Zweck ist ledig-

lich, die grundsätzliche Einstellung aller idealistischen Gesellschafts-

erkenntnis aufzuzeigen. Nach dem Gesagten wird es nun leicht sein

zu erkennen, daß die idealistische Gesellschaftslehre überall die eben