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bedeuteten Züge an sich trägt. Bei P l a t o n ist der Staat, das will
sagen, die Gemeinschaft überhaupt, so entschieden vor dem Einzel-
nen, daß der Einzelne in seiner Eigenlebendigkeit (die aber nie-
mals ihn allein zur Quelle haben kann) fast gefährdet erscheinen
möchte. Bei gleicher grundsätzlicher Einstellung sucht A r i s t o -
t e l e s diese Gefahr zu vermeiden. Die scholastische Einstellung ha-
ben wir als eine überindividuelle, das heißt universalistische, bereits
gekennzeichnet. Daß die romantische Gesellschaftslehre grundsätz-
lich gleiche Wege geht, darüber kann kein Zweifel sein. Ebenso lie-
gen die Dinge bei B a a d e r , ferner in der späteren Lehre F i c h t e s
u n d S c h e l l i n g s . H e g e l , der den Begriff des „objektiven
Geistes“ prägte, trachtete bewußt, über das individualistische Natur-
recht hinauszukommen und den Vorrang des Ganzen vor dem Teile
sowohl in seiner Sitten- und Gesellschaftslehre, wie in seiner Ge-
schichtsphilosophie herauszuarbeiten. Nebenbei gesagt ist es gewiß
nicht schwer, dem Hegelischen Lehrgebäude pantheistische Bestand-
teile nachzuweisen. Aber damit ist nicht viel gewonnen. Fruchtbarer
ist es, die Verwandtschaften H e g e l s m i t P l a t o n u n d A r i -
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s t o t e l e s zu erkennen und die Einheit der idealistischen Gesell-
schaftslehren in allen ihren verschiedenen Formen gegen die mäch-
tige Phalanx der heute herrschenden positivistischen zu erkennen
und festzuhalten.
C.
Philosophie und Gesellschaftslehre
Zuletzt drängt sich noch die grundsätzliche Frage auf, in welcher
Weise das Abhängigkeitsverhältnis von Philosophie und Gesell-
schaftslehre, die doch eine Erfahrungswissenschaft sein will und soll,
zu denken sei? Der Unterzeichnete hat immer den Standpunkt ver-
fochten, daß die Erkenntnisse und Grundbegriffe der Gesellschafts-
lehre r e i n a n a l y t i s c h , durchaus nur durch Zergliederung der
Erfahrung, zu gewinnen seien. Diese Zergliederung aber nun ist es,
welche entweder zu dem Begriff des geistig sich selbst genügenden
Einzelnen gelangt o d e r zu dem Begriff der Gezweiung
1
; sie ist es,
1
Daß andere Möglichkeiten nicht übrigbleiben, geht aus dem Früheren hervor,
ich habe es auch in meinen Büchern: Gesellschaftslehre (1910), 3. Aufl., Leipzig
1930 [4. Aufl., Graz 1969], und: Kategorienlehre (1924), 2. Aufl., Jena 1939
[3. Aufl., Graz 1969] bewiesen.