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ideal bestimmt — nicht anerkennt. Denn die Gesellschaft ist dem In-
dividualismus ja nur eine nachträgliche Summierung der Einzelnen,
die über das Äußerlich-Utilitaristische nicht hinauskommt, daher
keineswegs den Geistesinhalt der Erziehung bestimmen kann. Aus
all diesen Gründen tritt dem Individualismus der Begriff des ob-
jektiven Erziehungsideals notwendig in den Hintergrund und müßte
ihm folgerichtigerweise schließlich ganz verloren gehen.
Paradoxerweise kann trotzdem der Individualismus in der Er-
ziehung auch eine soziale, eine objektive Seite erlangen, nämlich
da, wo er in eine Umweltlehre („Milieutheorie“) mündet. Denn
wird der Einzelne als Atom gefaßt, dann ist sein Weg von den
„Wechselwirkungen“ mit den anderen Atomen abhängig, diese
„Wechselwirkungen“ sind naturgesetzlich bestimmt, also rechenbar
(„Laplacesche Weltformel“). Der Einzelne ist damit durch die Wech-
selwirkungen mit den andern — die Umwelt — bestimmt. Der Satz
Marxens: „Es ist nicht das Denken der Menschen, welches ihr Sein,
sondern ihr gesellschaftliches Sein (die Umwelt), welches ihr Denken
bestimmt“ — drückt diese atomistisch-mechanische Auffassung klar
und deutlich aus. Indem die Umwelt diese Bedeutung erhält, wird
der einzelne Mensch schließlich zum bloßen Brennspiegel, der die
Einwirkungen, die von außen kommen, wie Lichtstrahlen bricht.
Entweder muß man also das Individuum sich selbst überlassen
(Selbsterziehung), oder es ist ein Ergebnis seiner Umwelt. Im letz-
teren Falle tritt zwar der gesellschaftliche Inhalt als bestimmend in
der Erziehung hervor, aber sie gründet sich dann auf die „Natur-
gesetze“ des Seelenlebens (nach „naturwissenschaftlicher Psycholo-
gie“) und wird selbst zu einem unterrichtstechnischen Naturvor-
gange.
C. Die Erziehung nach universalistischer Auffassung
Universalistisch gesehen ist die Erziehung E i n g l i e d e r u n g
i n d i e G e b i l d e d e r G e s e l l s c h a f t . Die Eingliederung
hat aber zwei Seiten, eine objektive und eine subjektive. Die objek-
tive liegt in der Beschaffenheit, in den Inhalten jener gesellschaft-
lichen Gebilde, in welche die Eingliederung erfolgt; die subjektive