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Stände . .. . jeder Einzelne ist dadurch, daß er einem Stand an-
gehört, ein Allgemeines und hiermit ein wahrhaftes Individuum ..
.‘"
1
Im selben Sinne B a a d e r
2
.
Von Neueren sind mir lediglich Gierke, Treitschke, Georg von
Below und Werner Sombart als solche bekannt geworden, die eine
universalistische Fassung des Standesbegriffes wenigstens anstrebten,
beziehungsweise der individualistischen widerstrebten.
G i e r k e kommt in seinem „Genossenschaftsrecht“ über den endlosen ju-
ristischen Einzelheiten seines Stoffes nicht zur Aufstellung eines einheitlichen
Lehrstückes vom Wesen des Standes. Jedoch liegt schon in seiner Aufgaben-
stellung, den deutschen Körperschaftsbegriff zu entwickeln, und in der Gegen-
überstellung von deutschrechtlicher Körperschaft (— Ganzheit) und römisch-
rechtlicher Anstalt (= Summe der Einzelnen) eine Abweisung des individuali-
stischen Klassenbegriffes beschlossen
3
.
In Treitschkes „Politik“
4
heißt es: „Wie der Staat nicht bestehen kann ohne
die Teilung in Regierende und Regierte, so die Gesellschaft nicht ohne die
Gliederung in verschiedene Klassen.“ — „Unter Ständen im engeren Sinne des
Wortes versteht man jene sozialen Gruppen, denen in der Regel der einzelne
angehören muß;.. . Aus diesen rechtlich getrennten Ständen entwickelt sich
dann eine freiere Bildung von Klassen, die rechtlich nicht mehr geschieden sind,
wo dem einzelnen durch Glück und Begabung ein Aufsteigen möglich ist. Recht-
lich sind diese Unterschiede nicht mehr definierbar und Halbdenker kommen
dann zu der Meinung, daß es überhaupt keine Klassen mehr gibt.“
5
S o m b a r t sagt in der neuen Auflage seines „Kapitalismus“: „Stände sind:
auf Lebensgemeinschaft beruhende, in ein Gemeinwesen organisch eingegliederte
Großverbände; Klassen sind: durch gemeinsame Interessen an einem Wirt-
schaftssystem äußerlich zusammengehaltene,... mechanisch eingefügte individua-
listische Großverbände.“
6
Ferner: „War der Stand ein organisches Glied einer
(Volks-)G e m e i n s c h a f t , so ist die Klasse ein mechanischer Bestandteil
einer G e s e l l s c h a f t.“
7
— Diese Scheidung von Klasse und Stand in indi-
vidualistischer und universalistischer Richtung wäre der erste Schritt zur Klar-
heit. Sie verliert aber leider an Wert, wenn man veranschlagt, daß Sombart
damit augenscheinlich auf Tönnies’ Einteilung von „Gemeinschaft“ und „Gesell-
1
Hegel: Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, a. a. O., S. 475.
2
Franz von Baader: Sämtliche Werke, herausgegeben durch einen Verein von
Freunden des Verewigten, 16 Bde, Leipzig 1851—60, Bd 6: Sozietätsphilosophie,
Leipzig 1854.
3
Vgl. z. B. Otto Gierke: Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd 2, Berlin
1873, S. 879 f.; Bd 1, Berlin 1868, S. 3: „...Genossenschaften, welche... ihren
Gliedern gegenüber . . . Allgemeinheit sind .. .“
4
Heinrich von Treitschke: Politik, Vorlesungen gehalten an der Universität
zu Berlin (1898), 2 Bde, 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 298.
5
Heinrich von Treitschke: Politik, 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 300.
6
Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus (1902), Bd II/2, 3. Aufl.,
München und Leipzig 1919, S. 1091.
7
Werner Sombart: Der moderne Kapitalismus (1902), Bd II/2, 3. Aufl.,
München und Leipzig 1919, S. 1093.